Kunst in ständiger Transformation

von Redaktion

Städtische Galerie Traunstein erinnert an Werk von Heinrich Stichter

Traunstein – Es lohnt sich, einen Schritt näher zuzugehen auf die Werke von Heinrich Stichter. Dann spürt man deutlich die Energie, mit der hier mit Sand und Holzresten vermischte Farbe aufgetragen, abgekratzt, pastos übermalt, zerfurcht und schließlich nochmals mit dem Spachtel überarbeitet wurde. Durch immer wieder neue Bearbeitungs- und Veränderungsprozesse wirkt der Malgrund, als sei er in ständiger Bewegung. Explosionen, Farberuptionen, Zerfaserungen und Linienstrukturen bewegen sich in einem ständigen Kreislauf sich verfestigender Strukturen und deren Wiederauflösung.

Kraftvolle
Arbeiten

Auch nach Jahrzehnten wohnt den Arbeiten ohne Titel aus dem Zeitraum von 1985 bis 2015 noch immer eine besondere Kraft inne. Mit der Ausstellung „Works II – Bilder und Papierarbeiten“ schließt sich gegenwärtig in der Städtischen Galerie Traunstein der Kreis einer umfassenden Retrospektive zum Werk von Heinrich Stichter.

Der 2019 verstorbene Traunsteiner war einer der Initiatoren und führenden künstlerischen Kräfte des Kunstvereins Traunsteins. Als schöpferischer und kritischer Geist genoss er weit über den Chiemgau hinaus hohes Ansehen. Dies belegen Ausstellungen unter anderen auch in Erlangen, München, Berlin und Oldenburg. Begonnen hatte Stichters künstlerische Reise mit Ausbildungen an der Holzschnitzerschule in Berchtesgaden und der Kunstakademie in München.

Bereits 2020 war in der Traunsteiner Klosterkirche eine erste Ausstellung „Works I“ mit wenigen großformatigen und raumgreifenden Materialbildern sowie Skulpturen Stichters zu sehen. Mit coronabedingter Verspätung folgt jetzt noch bis 3. April auf zwei Ebenen eine wesentlich umfassendere Präsentation von Gemälden und Papierarbeiten. Der Vergleich mit „Works I“ ist insofern spannend, weil die aktuelle Schau ähnliche Motivreihen spannungsreich gegenüberstellt, die Nähe zu Jackson Pollocks „Action Painting“ offenbart, Anklänge an Mark Rothkos Farbfeldmalerei andeutet oder Zeichnungen mit Pinselspuren zeigt, die wie unbeabsichtigte Ausflüge in die Zen-Malerei wirken.

Die Ausstellung macht deutlich, dass sich Stichter zwar von wichtigen Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts wie dem abstrakten Expressionismus, dem Informel und dem Tachismus beeinflusst zeigt. Und doch folgt er in der Auseinandersetzung mit den Grundformen Quadrat, Rechteck, Kreis und Kreuzform als Konstanten einer ganz eigenen Zielrichtung. Durch konsequente Gegenstandslosigkeit rückt der Traunsteiner den künstlerischen Schöpfungsprozess selbst in den Mittelpunkt des Interesses. In mehreren Tausend Werken hat er auf die Frage danach immer wieder neue, spannende Antworten gefunden. Sogar an vermeintlich abgeschlossenen Werken hat er Jahre später nochmals Hand angelegt.

Konstruktion
und Dekonstruktion

Der Betrachter wird sozusagen aktiver Zeuge von Konstruktion und Dekonstruktion, von Ordnung und Chaos, vom Ringen des Künstlers mit Form und Farbe, die durch Einbeziehung zahlreicher Alltagsmaterialien auf drastische Weise Plastizität erhalten und damit eine neue Form von Wirklichkeit schaffen. Wer sich darauf einlässt, für den öffnen sich unter Umständen ganz neue Pforten der Wahrnehmung und Erkenntnisse.

Da ist es kein Wunder, dass mehrere Jahrzehnte alte Werke von Stichter angesichts des sich häufenden, globalen Welten-Chaos mit Finanz-, Flüchtlings-, Corona-, Klima- sowie Energie-Krise und jetzt dem Ukraine-Krieg für manche Betrachter eine gar beklemmende Aktualität gewinnen. Der scheinbar chaotische und mitunter zerstörende Mahlstrom des Schicksals, der die bürgerliche Komfortzone sprengt, findet seine Entsprechung auf der Leinwand.

Dank der durch Galerieleiterin Judith Bader gut kuratierten Ausstellung erhält der Besucher einen facettenreichen Überblick über Stichters vielseitiges Schaffensstalent. Nicht zuletzt hat er als Kunsterzieher an der Traunsteiner Volksschule auch Generationen von Schülern den Weg zur Kreativität geebnet. Eine Auswahl an Papierarbeiten wurde zudem für die Kunstsammlung der Stadt Traunstein angekauft.

Bis 3. April

Noch bis Sonntag, 3. April, zeigt die Ausstellung „Works II“ in der Städtischen Galerie Traunstein Gemälde und Papierarbeiten des Traunsteiner Künstlers Heinrich Stichter. Geführte Ausstellungsrundgänge gibt es heute, Mittwoch, um 19 Uhr und am Sonntag, 3. April, um 16 Uhr. Geöffnet ist die Galerie mittwochs bis freitags von 11 bis 17 Uhr sowie am Samstag und Sonntag von 13 bis 18 Uhr.

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