Rosenheim – Gattinnen von Geistesheroen können sehr unterschiedlich in Erscheinung treten – als Musen, als psychische oder finanzielle Stützen, sogar als gewiegte Managerinnen („Frau Dostojewski ließ die Werke ihres Mannes im Selbstverlag erscheinen!“, hält Robert Musil seiner Martha vor). Nach dem Tod des Gemahls haben die Witwen sich im Idealfall erfolgreich um den Nachlass und dessen Vermarktung zu kümmern.
Hinterlassenschaft von 12000 Seiten
Und so gerät in der 15. Folge des „Mann ohne Eigenschaften“ nicht eine der in jeder Hinsicht attraktiv schillernden Romanfiguren in den Fokus, sondern die real existierende Martha Musil, die nun alle Hände voll zu tun hat, um dem Chaos von etwa 12000 Seiten, verteilt in 60 Mappen und 40 Heften, Herr zu werden. Selbst der Meister hatte schon zu Lebzeiten nicht mehr den Durchblick angesichts seiner heillosen Zettelwirtschaft.
Da ist es nur zu verständlich, wenn das „Regie als Faktor“-Team, Valerie Kiendl und Dominik Frank, die 15. Folge mit „Martha Musil räumt auf“ titeln! Eigentlich hätte als souveräne, intellektuell versierte Dichter-Witwe die Schauspielerin Christa Fischer die „Show“ bestreiten sollen. Da wegen Erkrankung eine Realpräsenz nicht möglich war, behalf die Regie sich mit der virtuellen Anwesenheit: Christa Fischer agierte auf der Leinwand so suggestiv, dass jeder im Publikum ihre starke Persönlichkeit förmlich spürte. Selbst die Verbeugungen beim Schlussapplaus waren optisch schon vorproduziert.
Valerie Kiendl und Dominik Frank, die zunächst wieder mit einer packenden Einführung in ihrer gewohnt herzhaft unakademischen Art die Zuschauer „vorgeglüht“ hatten, begnügten sich nun damit, Frau Martha assistierend die Notizzettel und Papierschnitzel übersichtlich aufzulisten und an die Wand zu pinnen. Ganz nebenbei gaben sie auch Einblick in ihre Regiekonzepte: spannend!
Wir erlebten die Selbstzweifel und Schreibblockaden Musils mit. Wenn Leser dem Schriftsteller vorwerfen, er hätte „zu schwierig“ geschrieben, so darf man kontern, er selbst habe sich das Schreiben skrupulös noch tausendmal schwerer gemacht. Doch plötzlich entdeckt der Leser die sublime Ironie Musils, die nichts mit krittelnder Spöttelei am Hut hat, sondern als geradezu schwereloser Humor allen Dingen eine ungeahnte Plastizität und Tiefenschärfe verleiht.
Manuskript
in Mantel eingenäht
Robert Musil starb 1942 im Schweizer Exil. Martha war jüdischer Herkunft, und so haben die Musils schon bald Deutschland verlassen. Etliche Manuskripte fielen im Krieg den Bomben zum Opfer. Martha nähte viele Blätter aus dem Nachlass in einen Mantel ein und versuchte, sie in Sicherheit zu bringen. Für wen?
Heerscharen von literarischen Fastfood-Autoren kennen keine Schreibhemmungen und überschwemmen den Markt mit flüssig zu lesender Ware. Da wäre es vielleicht gewinnbringender, in Musils Monumental-Roman wenigstens reinzuschmecken. Oder die letzten fünf Folgen in der Vetternwirtschaft mitzuerleben. Es lohnt sich!