Erster Weltkrieg statt kaiserliches Thronjubiläum

von Redaktion

„Regie als Faktor“ entfacht in der Vetternwirtschaft ein fulminantes Musil-Spektakel

Rosenheim – Der in vielen Erzählsträngen dahin fließende Riesen-Roman Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ spiegelt das schicksalhafte Jahr 1913. Spannungen und Widersprüche dieser Zeit kulminieren im Ersten Weltkrieg. So hatte es Musil auch für seinen Roman konzipiert: Statt pompöser Feier des 70. Thronjubiläums Kaiser Franz Josefs wird der Untergang „Kakaniens“, der österreichischen K.-und-k.-Welt, trauriges Ereignis.

Ironie des Schicksals: Erst fegte der Krieg die kaiserliche Pracht hinweg, später hindern Exil und Hitler-Krieg Robert Musil an der schriftstellerischen Bewältigung des ersten Weltenbrands. Dieser existiert nur in einzelnen, verstreuten Kapitelentwürfen im Nachlass.

Valerie Kiendl und Dominik Frank packten den Stier bei den Hörnern und verquirlten die Texte Musils in einen grellen Wirbel von atemberaubender Rasanz (Frank Castorf stand erklärtermaßen Pate). Auf der Leinwand räkeln sich die drei Schauspielerinnen Annika Roth, Jennifer Seeger und Vanessa Strasser im Pool, Champagner fließt, im Hintergrund das Postkarten-Idyll italienischer Landschaft. Die Stimmung ist überdreht, auch die Kameraführung betont hektisch. Die sich überstürzenden Reden der Romanfiguren werden nicht exakt den drei Schauspielerinnen zugeordnet, es geht wild durcheinander, plötzlich hüpft eine der drei leibhaftig durch den Zuschauerraum auf die Bühne, versucht die Mädels auf der Leinwand zu übertönen und verschwindet wieder. Dazu dröhnt italienische Musik. Man muss nicht alles verstehen – diese Bilder bleiben im Bewusstsein der Zuschauer haften, fressen sich regelrecht ins Hirn ein. Leo Fischel, der jüdisch-liberale Bankier (Opfer oder Kriegsgewinnler?) tauscht sich mit Ulrich, dem „Mann ohne Eigenschaften“, der eben aus Italien kommt, aus: „Ich mache Geschäfte. Es droht Krieg!“ Fischels Tochter Gerda ist dem rechtsextrem-nationalistischen Studenten Hans Sepp verfallen. Dieser, zu Lebzeiten mit markigen Kraftsprüchen auftrumpfend, erschießt sich, da er dem Drill beim Barras nicht gewachsen ist. Ein irres Pandämonium!

Plötzlich Szenenwechsel: Ein Gartenfest, an dem Ulrich missgestimmt teilnehmen muss. Die hochgestellten Gäste sind maskiert. Ulrichs Kusine Diotima tritt als napoleonischer General auf, es werden erotische Defizite zwischen beiden verhandelt. Diotima beklagt sich über den preußischen Intellektuellen von Arnheim. Die „platonische Affaire“ hat sie wohl frustriert. Ulrich denkt wiederum, er könne Diotima nur lieben, wenn er sie schlüge. Bühnenwirksam und beklemmend die pantomimische Ohrfeigen-Orgie. Sigmund Freud hätte seine helle Freude gehabt.

Unmöglich, allen Einfällen und Gags sowie dem intensiven Einsatz der Schauspielerinnen völlig gerecht zu werden! Die Masken und Kostüme der Gartenszene verbreiteten einen surrealistischen Zauber, auch das nun gedrosselte Tempo, gleichsam die Erstarrung, verstärkte sowohl die Suggestivkraft der Szene wie die Faszination des Publikums. Es gab langen und heftigen Applaus für das Regieteam und für Annika Roth, Jennifer Seeger und Vanessa Strasser, welche die Vorgaben bravourös erfüllten und zudem noch erstaunliche körperliche Kraftleistungen zu bewältigen hatten.Walther Prokop

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