Traunstein/Marquartstein – Eine mutmaßliche gemeinschaftliche körperliche Attacke gegen einen 17-Jährigen in Marquartstein brachte vier Männer im Alter zwischen 20 und 33 Jahren wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung vor die Jugendkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Heike Will. Grund für den Angriff waren Drogenschulden in Höhe von 3200 Euro, die das Quartett am 4. Oktober 2020 angeblich eintreiben wollte. Gestern stellten der Staatsanwalt, der Nebenklagevertreter und die vier Verteidiger ihre Schlussanträge.
Mit dem
Tod bedroht
Alle Angeklagten wohnen im Landkreis Rosenheim. Haupttäter war laut Staatsanwalt Chris-Dominik Kempel ein 22-Jähriger. Er soll den von den Mitangeklagten festgehaltenen Jugendlichen misshandelt, bedroht und erniedrigt haben. Zahle er nicht, würden er beziehungsweise seine Mutter umgebracht, hieß es. Das Geld bekamen die Täter nicht – bis auf gleich zu Beginn übergebene 50 Euro. Über einen Verwandten, den der 17-Jährige während des Geschehens in der Wohnung hatte anrufen können, wurde damals die Polizei informiert.
Ärzte attestierten dem Nebenkläger eine Wunde am Hals, eine Gehirnerschütterung, eine Wirbelsäulenverstauchung, Kopfprellungen, einen Bluterguss am Auge und eine Brustprellung. Dem 22-Jährigen galten weitere Vorwürfe, darunter eine vorsätzliche Körperverletzung an einem 18-Jährigen im Dezember 2020 in Kolbermoor.
Staatsanwalt Chris-Dominik Kempel sah das wesentliche Tatgeschehen gestern weitgehend nachgewiesen. Zeugen hätten Angaben der Angeklagten, etwa Faustschläge des 22-Jährigen, bestätigt. Die Angaben des 17-Jährigen seien insgesamt „sehr glaubwürdig“ und „nicht übertrieben“ gewesen. Hauptaggressor sei der 22-Jährige gewesen, die anderen Mittäter. Das sei auch aus Chatverläufen zu erkennen. Für den teilgeständigen 22-Jährigen mit vier Vorstrafen forderte der Staatsanwalt neun Jahre Freiheitsstrafe und Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung unter Vorwegvollzug von noch 21 Monaten im Gefängnis. Für den 33-Jährigen mit 13 Vorstrafen seien sechs Jahre Freiheitsstrafe angemessen. Bei dem nicht vorgeahndeten 20-Jährigen seien drei Jahre und drei Monate Jugendstrafe erforderlich. Der 23-Jährige, ebenfalls ohne Vorstrafen, solle drei Jahre Freiheitsstrafe verbüßen. Nebenklagevertreter Hans-Christian Türck aus Prien schloss sich namens des Geschädigten an. Sein Mandant habe „Todesangst“ während des eineinhalbstündigen Martyriums gehabt. „Das geht an die Psyche. Sein Leben hat sich an dem Tag komplett verändert“, so der Opferanwalt.
Der Verteidiger des 22-Jährigen, Dr. Georg Karl aus Regensburg, hielt den Antrag des Staatsanwalts für deutlich zu hoch. Alle Beteiligten bewegten sich im Drogenmilieu. Die Tat sei stümperhaft ausgeführt worden. Der 22-Jährige habe ein gewichtiges Geständnis abgegeben, sich entschuldigt und sei dabei, erwachsen zu werden. Dr. Karl beantragte eine Strafe von sechs Jahren und vier Monaten sowie Unterbringung.
Rechtsanwalt Michael Vogel aus Traunstein wies für den 20-Jährigen eine Mittäterschaft zurück. Dieser sei nicht eingeweiht gewesen und habe am Tatgeschehen nicht aktiv mitgewirkt. Bezüglich der Vorfälle in der Wohnung sei der 20-Jährige freizusprechen, ebenso für Drohungen via Instagram gegen den 17-Jährigen. Wegen eines Drogendelikts reichten eine Beratungsweisung und eine Geldauflage.
Mittäter nicht
eingeweiht?
Für den 33-Jährigen argumentierte Verteidiger Dr. Andreas Kastenbauer aus Traunstein mit auseinanderklaffenden Schilderungen von Zeugen. Hier sei man nicht bei räuberischer Erpressung, sondern bei versuchter Nötigung – als Mittäter oder in Form der Beihilfe. Eine Freiheitsstrafe mit Bewährung sei zwingend geboten.
Der Anklagevorwurf der räuberischen Erpressung gegen den 23-Jährigen sei widerlegt, konstatierte Verteidiger Korbinian Ortner aus Traunstein. Der Angeklagte habe nicht mal gewusst, wohin er fahren sollte. Von einer tätlichen Auseinandersetzung habe er nichts mitbekommen. Unbeteiligte Zeugen hätten entsprechend ausgesagt. Der Geschädigte selbst habe eine relevante Handlung des 23-Jährigen verneint. Ortner forderte einen Freispruch.
Das Urteil verkündet die Jugendkammer am Donnerstag, 2. Juni.