Klarheit und Rausch

von Redaktion

„Venezianische Epigramme“ im Atelier von Antje Tesche-Mentzen in Hafendorf

Söchtenau/Hafendorf – Eine geistvolle Atmosphäre durfte das Publikum bei der musikalischen Lesung „Klarheit und Rausch“ im Atelier von Antje Tesche-Mentzen in Hafendorf erleben. Zu Goethes „Venezianischen Epigrammen“ passte nicht nur das großformatige, impressionistisch anmutende Gemälde hinter der Bühne, sondern auch das frühsommerliche Wetter. Professor Lutz Götze gab zu den von Antje Tesche-Mentzen gelesenen Epigrammen hilfreiche Erläuterungen. Brillant begleitet wurde die Matinee von der georgischen Pianistin Lika Bibileishvili, die „Petrarca Sonette“ von Franz Liszt spielte.

Leidenschaft
und Perfektion

Mit Leidenschaft und technischer Perfektion brachte Lika Bibileishvili zum Auftakt das „Petrarca Sonett“ Nr. 47 zu Gehör. Die Pianistin bannte das Publikum mit virtuosen Läufen und kraftvollen Akkorden, spielte mal zart und durchsichtig, mal mit melodramatischer Wucht. Den Titel der Lesung erläuterte Professor Lutz Götze mit Hilfe der von Nietzsche als Gegensatzpaar geprägten Begriffe „apollinisch“ und „dionysisch“. Stehe Apollon für Licht, Weisheit und Ruhe, repräsentiere Dionysos das künstlerisch Rauschhafte. Goethe sehnte sich schon als Kind nach Italien. Bereits mit 5 Jahren erhielt er von seinem Vater eine Gondel als Geschenk, die der Dichter später als schaukelndes Sinnbild zwischen Leben und Tod angesehen hat.

„Die Epigramme von Goethe haben es in sich“, erklärte Götze. Goethe schrieb die Sinn- und Spottgedichte im Frühjahr 1790, als er Anna Amalia auf ihrer Heimreise von Italien nach Weimar begleiten sollte. Da die Herzogin auf sich warten ließ, nutzte er die Wochen, um Eindrücke von Venedig zu verarbeiten. Der Dichter mokierte sich zwar über die fehlende Reinlichkeit in der Stadt, das Volk und die Erotik aber hatten es ihm angetan. Die von Antje Tesche-Mentzen vorgetragenen Epigramme waren mal derb satirisch, mal spöttisch und erotisch.

Die Dichtung umfasst die Schilderung von Land und Leuten, von politischen Zuständen und das Gespräch des Dichters mit den Göttern. Sie gipfelt in erotischen Gedichten, die damals „mit Schere und Rasiermesser“ zensiert wurden. Wehmut und Erinnerung an Faustina, das Dahinschaukeln in der Gondel des Lebens und Betrachtungen über Religionstoleranz zeigten die große thematische Bandbreite der Epigramme. „Hauptgeschäft“ sei laut Götze, der gelegentlich zu rasch und zu leise sprach, für den Dichter der erotische Teil gewesen.

Zwei Seiten
einer Medaille

„Klarheit und Rausch sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille“, so Götzes Resumee. Beide zusammen gäben erst ein Ganzes. Der Gedanke versetze in einen Rauschzustand, verlange aber immer auch Reflexion. Gegen eine Verrohung der Sprache sei humanistische Bildung eine Voraussetzung. Goethe könne hier stilbildend wirken.

Zwischen den Anmerkungen Götzes und den gelesenen Epigrammen bannte Lika Bibileishvili das Publikum grandios mit Liszts Sonetten. Mit dem rauschhaften, wild wirbelnden, virtuos gespielten und heftig umjubelten „Mephisto“ Walzer beschloss die Pianistin die anregende musikalische Lesung.

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