Kein unromantischeres und verborgeneres Liebespaar

von Redaktion

Die 17. Folge der Theater-Adaption von Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ thematisiert sexuelle Gewalt

Rosenheim – Es gibt wohl in der gesamten Weltliteratur kein unromantischeres und verborgeneres Liebespaar als Walter und Clarisse. Sie treiben ihr unfrohes Wesen in Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Längst nicht mehr verliebt, sind sie zum trist-aggressiven Ehepaar mutiert. Nun explodiert das Verhältnis in einem Eklat, inszeniert von „Regie als Faktor“, dem Team Valerie Kiendl und Dominik Frank. Auf dem Bildschirm (aus künstlerischen Gründen hat man noch einmal auf Youtube ein digitales Experiment gewagt) agieren Annika Semmler als Clarisse und Daniel Largé als Walter.

„1913“ – wir kennen dieses hektisch wirbelnde Jahr aus Florian Illies gleichnamigem Bestseller. Bei Musil wird das 60-jährige Thronjubiläum des Kaisers ambitioniert, aber ins Leere laufend angedacht. Doch aktuell geht’s in Folge 17 nicht um Staatsaktionen, sondern um höchst intime Befindlichkeiten. Clarisse, eine „schmallippige Frührenaissanceschönheit“ hat schwer erträgliche Flausen im Kopf und steht kritiklos auf Nietzsche. Walters Antipathie gegen diesen Philosophen erzeugt bei ihr Hass und Verachtung, zudem nervt sie seine Liebe zum Bayreuther Tondichter, denn Walter versucht „seine Erregung ein wenig im Nixenteich der verbotenen Wagnermusik abzukühlen.“ Und wenn er das Klavier traktiert, „fingen seine Finger auf den Tasten die wogende Rückenmarksmusik des sächsischen Zauberers an“. Walter, ein subalterner Bürohengst, dilettiert als Maler und Musiker, Clarisse versucht ihn in „Geniehöhen“ zu erheben. Aber das war verlorene Liebesmüh‘, jetzt möchte er nur noch ein Kind von ihr. „Sie fand keinen Atem, war bleich und schrie ihm heiser zu: ‚Statt selbst etwas zu leisten, möchtest du dich in einem Kind fortsetzen!‘“

Wie bringt man nun eine eheliche Vergewaltigung ins Bild? Da hatte schon Musil seine Schwierigkeiten, denn rohe Kolportage war nie sein Metier. Das ist auch nicht das Anliegen von Valerie Kiendl und Dominik Frank. Vielmehr sinnen sie auf subtile Schleichwege, um dem Zuschauer noch genügend Raum für eigene Wahrnehmungen und Assoziationen zu lassen. Walter sitzt sinnend an seinem PC, und die einzelnen Stationen des Verhängnisses klickt er an, um die Geschehnisse zu reflektieren. Daniel Largé als ungeliebter Ehemann, ein wahres Weichei, sitzt vor dem Desktop, als müsste er sich eine Examensarbeit abquälen. Auf sinnlichen Glamour wurde bewusst verzichtet.

Clarisses Bruder Siegmund, ein Arzt, hatte dem Schwager den Rücken stärken wollen und verkündete mit kumpelhafter Grandezza: „Sie ist übernervös! Du musst sie einmal kräftig anfassen.“ Diese Attacken der Besitznahme werden nur andeutungsweise ins Bild gebracht, zur weiteren Verfremdung erscheint Clarisse als Negativ-Abzug. „Halbnackt, schlüpfrig wie ein zappelnder Fisch kämpfte sie in den Armen ihres Gatten.“ Ein kryptischer Satz Musils: „Es war Walter schrecklich, aber es hielt ihn nicht auf.“ Vielleicht bringt Clarisses abschließendes „Warte, ich werde mich rächen!“ Klarheit in die Sache – klar auf jeden Fall, dass die Frau auf dem letzten Wort besteht. Am 3. Juli hat Clarisse noch einmal das Sagen, dann live in der Rosenheimer Vetternwirtschaft. Walther Prokop

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