„Der Mensch hat eine große Sehnsucht nach Harmonie“

von Redaktion

Komponist Peter Michael Hamel hat mit John Cage und Carl Orff gearbeitet – Ein Interview zum 75. Geburtstag

Aschau – Der in Aschau-Schafelbach und Spanien lebende Komponist Peter Michael Hamel (geb. 1947) hat viel erreicht. Der emeritierte Professor und scheidende Musikdirektor der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ist noch immer als Musiker und Komponist tätig.

Im vergangenen Jahr erhielt er den mit 10000 Euro dotierten Kaske-Musikpreis für sein Lebenswerk. Das Schwimmen pflegt er seit Jahren als kreative Schaffenspause. Ein Treffen mit dem Geburtstagskind Peter Michael Hamel im Aschauer Moorbad.

Sie sind durch die ganze Welt gereist, haben mit den ganz Großen Ihrer Zeit Musik gemacht. Sie waren Hochschulprofessor in Graz, dann 15 Jahre Professor für Komposition und Theorie an der Hamburger Musikhochschule.

Ich bin immer noch unruhig und ich bin noch immer auf der Suche nach neuen Instrumenten, neuen Klängen und musikalischen Überraschungen. Inzwischen habe ich über zehn Symphonien komponiert. Grenzen waren mir stets ein Gräuel. Ich fühle mich in der Symphonik ebenso zu Hause wie in der Improvisation und ich will „Weltmusik“ machen. Obwohl: Machen ist der falsche Begriff, das ist mehr ein Mitteilungsbedürfnis.

Können Sie angesichts des Leidens auf der Welt noch komponieren?

Es ist einfacher, einen Weltuntergang zu komponieren als ein harmonisches Stück. Mit Musik kann man soviel sagen (trommelt einen Marsch auf den Tisch). Da entstehen Bilder im Kopf des Zuhörers, das kann aber auch gefährlich für den Komponisten sein. Die Energie, das Gefühl, all das, was der Komponist ausdrücken will, das kommt auf den Menschen, der zuhört, zu. Und das fällt schlussendlich auch wieder dem Komponisten zu.

Es ist keine Absicht, aber der Mensch hat eine große Sehnsucht nach Harmonie. Komponieren sehe ich deshalb als Beitrag für Friedlichkeit, für Vermittlung, für das Zuhören. Und das Improvisieren als spontane Formulierung des momentanen Einfalls ist mir dabei sehr wichtig.

Dann erkennt der Zuhörer aber nicht mehr das Stück?

Gerade heute, wo es so viele Musikrichtungen gibt, kann man vielleicht nicht mehr alle ansprechen. Vielleicht will jemand, der den ganzen Tag gearbeitet hat, abends eben nur das hören, was er kennt. Der Wiedererkennungswert und die Interpretationsvergleiche, das ist für viele Leute interessanter, als etwas Neues kennenzulernen.

In einem früheren Interview haben Sie einmal gesagt, dass in einem Ton alle Töne sind. Wie kann da so viel Musik zu Ihnen kommen?

Die Musik kommt aus mir heraus. Ich halte es mit einer armenischen Fabel, in der ein Cellist, der immer nur einen Ton spielt, auf die Frage nach dem Warum antwortet: „Andere Musiker suchen noch die Töne, ich habe meinen Ton gefunden.“ Ein Ton prägt sich nur durch seine Obertöne. Jedem Ton können physikalisch bis zu 44 Obertöne zugeordnet werden.

Das jeweilige Obertonspektrum lässt uns etwa Flöte oder Oboe erkennen, aber auch die Identität einer Stimme. Die Gesangstechnik des Obertonsingens macht die Obertöne deutlich wahrnehmbar, wie beispielsweise beim mongolischen Volk (macht den Obertongesang vor). Die Obertonreihe ist ein Naturphänomen. Das finde ich faszinierend. Reduzierte, minimalistische Musik zu spielen und zu schreiben, Töne zu wiederholen, das ist meine Freiheit, das ist meine Musik. Und wenn gar nichts geht, dann gehe ich schwimmen.

Das klingt nicht nach Ruhestand. Sie werden jetzt 75.

Ich bin nicht naiv, ich habe nicht die Lösung für die Welt. Ich will, dass der Zuhörer zuhört, Frieden mit sich selbst durch die Musik schließt. Und darum geht es doch: Sich selbst den Augenblick schenken. Und meine Familie, die ist mir wichtig, da kann ich nicht ans Aufhören denken.

Autor: Elisabeth Kirchner

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