„Von der Gegenwart weggehen und alten Mythen nachspüren“

von Redaktion

Der Film „Odyssee“ erzählt Quadro Nuevos Entkommen aus der coronabedingten Schaffens- und Identitätskrise

Oberaudorf – Mulo Francel pilgert mit seinem Saxofon in die Stadt, er macht jetzt Straßenmusik. Doch er wird weggeschickt, „alles verboten“ heißt es, sogar im Wald. D.D. Lowka übt Bass im Kiosk der Partnerin am Langbürgner See und serviert nebenbei Currywürste und Cola, es gibt sogar Trinkgeld. Andy Hinterseher versucht derweil zu komponieren, doch irgendwie kommt trotz viel Koffeins immer eine melancholische Ballade dabei raus. So versucht jeder aus der Kernbesetzung von „Quadro Nuevo“, der bekanntesten deutschen Weltmusikformation, auf seine individuelle Art mit Auftrittsverboten während des Corona-Lockdowns umzugehen.

Vorausgegangen waren Szenen im Tourbus – die Band wird von Konzertabsagen kalt erwischt. Nach langer auftrittsloser Zeit und gemeinsamer Krisensitzung bringt Akkordeonist Andy Hinterseher das Stichwort „Odyssee“ auf, und Mulo Francel reagiert: „Lasst uns von der Gegenwart weggehen und alten Mythen nachspüren – wir erfinden uns neu !“ Die Band hat geeignete Kontakte zum Kultur-Programmchef der „Pasinger Fabrik“, Thomas Linsmayer, der auch Reiseleiter ist. Und es gibt die „Florette“, einen über hundertjährigen Segelzweimaster. Also machen sich die Weltmusiker auf zu einem Segeltörn auf den Spuren alter Mythen, sie spüren Odysseus nach, Aeneas und Jason, Medea. Circe und Penelope. Der Trip geht nach Sizilien, genauer zu den Liparischen Inseln mit ihrer vulkanischen Umgebung. Stromboli und Vulcano sind Schauplätze für einige Szenen der spielerisch-poetischen Musikdoku, deren Premiere in Oberaudorf beim Musikfilmfestival stattfand, freilich mit einleitendem Konzert der „Quadros“. Viele Musikfreunde wie Paulo Morello, Philipp Sterzer und Robert Kainar sind mit an Bord der Florette, ebenso Journalisten und Fotografen wie Mike Meyer aus Würzburg. Um dem Geist der Antike noch näher zu kommen, stellt die Gruppe Szenen aus der Odyssee mit Kostümen nach, teils sehr ernsthaft, teils mit dem Schalk im Nacken. Oliver Hochkeppel schlüpft in die Rolle des Homer und trägt auf Altgriechisch vor. Odysseus wird am Mast festgebunden, als die Sirenen locken, Ikarus springt von einem Fels ins Meer – es wird das Coverbild der Musik-CD. Musiziert wird trotz aller Foto- und Filmarbeit auch – was ruhig hätte mehr sein dürfen, tolle Aufnahmen sind in den Schwefelschwaden von Vulcano entstanden und auch an Bord. Die Idee geht auf – die Reise führt zu Inspiration und zu neuen Stücken, die Quadro Nuevo teils beim „Eiszeit“-Konzert im Rosenheimer Kultur- und Kongresszentrum schon gespielt haben. Die Zuschauer können im Ablauf gut nachvollziehen, wie sich die Musiker aus einer quälend langen, spaßfreien Identitäts- und Schaffenskrise heraus auf spannende, kreative neue Pfade begaben. Fotografisch thematisiert werden Aspekte wie die Vermüllung der Ozeane und Migration – symbolisch hierfür kommt immer wieder die Rettungsfolie ins Bild, insbesondere in den Musiksequenzen. So ist der Film unter der Regie von Andy Hinterseher „Odyssey – a journey into the light“ auch eine Art Motivationsstudie geworden, für Kooperation, Kreativprozesse und Freundschaft. Im Begleitbuch zum Projekt, überwiegend von Annette Hempfling fotografiert, die auch die Ausstellung in der Pasinger Fabrik kuratiert hatte, geben Texte von Julie Fellmann, Mulo Francel und Oliver Hochkeppel Auskunft über die ästhetische Motivation des Ganzen, antike Zitate inclusive. Oder wie Mulo Francel schreibt: „Einer Horde tobender Kinder gleich, segeln wir durch die mythenumwehte Welt der Äolen.“

Andreas Hinterseher (Regie), „Odyssee – a journey into the light“, 141 Minuten.

Andreas Friedrich

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