Entführung in den hohen Norden

von Redaktion

Der 86-jährige Norweger Arve Tellefsen debütiert mit Stücken aus seiner Heimat beim Festival

Aschau – New York im Februar 1984. Ein Flugzeug muss auf dem Hudson River notlanden. Die Passagiere werden aufgefordert, die Maschine ohne Gepäck zu verlassen. Ein Norweger weigert sich beharrlich. Er möchte seine Geige, eine unbezahlbare „Guarnieri del Gesù“, nicht zurücklassen. Er darf sie schließlich mitnehmen. Als jedoch der Geigenkasten als Paddel benutzt werden soll, umklammert er ihn und lässt ihn nicht los. Der tapferere, unbeirrte Norweger ist Arve Tellefsen. Sein Leben könnte locker verfilmt werden, weil es reich an solchen Anekdoten ist. In seiner Heimat wird er fast schon als Nationalheld verehrt. Immerhin zählte er zu den ersten Geigern im Westen, der die Violinkonzerte des russisch-sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch eingespielt hat. Seine Geburtsstadt Trondheim ehrt ihn öffentlich mit einer Skulptur.

Jetzt kommt der 86-jährige Violinist in den Chiemgau, um bei „Festivo“ zu debütieren. Mit Håvard Gimse am Klavier entführt er in den Hohen Norden. Außer Edvard Grieg, fraglos der international bekannteste und bedeutendste Komponist seiner Zeit aus Skandinavien, gibt es in Norwegen sehr viel mehr zu entdecken. Da ist Johan Svendsen: Im heutigen Oslo geboren, entwickelt er sich zunächst zum wohl bedeutendsten Geiger einer Heimat. Von Grieg hochgeschätzt, macht Svendsen auch als Dirigent international Karriere. Im Sommer 1872 weilt Svendsen bei Richard Wagner in Bayreuth, um im ersten Bayreuther Wagner-Orchester die Geige zu streichen. Cosima und Richard Wagner werden später die Paten der christlichen Taufe seiner jüdischen Frau aus New York. In seiner „Romanze“, die bei „Festivo“ erklingt, mischt Svendsen die Romantik Griegs subtil mit Wagner-Kolorit. Wie Svendsen ist seinerzeit auch Ole Bull als Meister-Geiger unterwegs. In Europa gilt Bull bald als „Paganini des Nordens“, wobei er die Technik des italienischen „Teufelsgeigers“ weiter perfektioniert. Eine Tante von Griegs ist zudem die Schwägerin von Bull. Von Bill interpretieren Tellefsen und Gimse zwei romantische Perlen. Dagegen zählt der Norweger Jan Garbarek, auch bekannt durch seine Aufnahmen beim Münchner Label ECM, zu den einflussreichsten Jazzmusikern in Europa. Beim Festivo-Debüt von Tellefsen erklingt von ihm das Stück „Peace“. In Kriegszeiten, wie wir sie gerade erleben, tut diese Friedensbotschaft gut und not. Marco Frei

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