Kirchensur – Das Wort „Sur“ in den Ortsbezeichnungen Kirchensur und Surberg könnte dazu führen, zunächst nicht an einen Ortsnamen, sondern an Schmankerl wie Surhaxn und Surfleisch zu denken. In einem Kochlexikon wird das „Suren“ mit dem Fachbegriff „Pökeln“ erklärt: „Lebensmittel in eine Kochsalzlösung geben oder mit Kochsalz bestreuen. (…). Am bekanntesten ist Kasseler, Eisbein, Schinken.“
Das norddeutsche Eisbein dürfen wir mit der süddeutschen Surhaxe übersetzen. Sur wird im Lexikon „Bairisches Deutsch“ zu mittelhochdeutsch sûr = sauer, salzig gestellt. Der Autor – Professor Ludwig Zehetner – weist zugleich auf die fehlende Diphthongierung beim Wort „die Sur“ hin; da aus mittelhochdeutsch „hûs“ ein „Haus“ wurde, wäre auch bei mittelhochdeutsch „sûr“ ein(e) „Sau(e)r“ zu erwarten gewesen. Das ist nicht der Fall. Aber taugt der Begriff Sur im Sinne von Pökellacke auch für die Erklärung der Namen von Kirchensur und Surberg? Der Name des Pfarrdorfes Surberg im Landkreis Traunstein wird im „Lexikon bayerischer Ortsnamen“ des Ortsnamenforschers Wolf-Armin Freiherr von Reitzenstein so erklärt: „Der Siedlungsname ist ca. 790 (…) als Sureberch und 1122-1147 als Surberg bezeugt“. Das Bestimmungswort „Sur“ geht laut von Reitzenstein „auf einen kleinen Bach zurück, den eine Geschichtsquelle von ca. 790 (Kopie des 12. Jh.) rivolum Surâ nennt; diesem liegt wohl die indogermanische Schwundstufe *suro = sauer, salzig zugrunde“.
Dieser saure, salzige „rivolus“ fließt durch das Surtal in Richtung Berchtesgadener Land und mündet in die Salzach. Somit stellen wir tatsächlich eine Übereinstimmung zwischen Kochlexikon, Bairisch-Lexikon und Ortsnamenlexikon fest, was von Reitzenstein noch präzisiert: „Als Flurname begegnet übrigens auch Sur, das als ‚Salzwasser, Mistwasser, Sumpflacke‘ erklärt wird“.
Dieser Hinweis führt uns weiter zum Namen des Dorfes Kirchensur, das seit 1970 Teil der Gemeinde Amerang ist. Laut Auskunft auf der Homepage der Gemeinde Amerang wird der Ortsname erstmalig im Fundationsbuch des Klosters Ebersberg erwähnt, und zwar im Jahre 970 in Gestalt eines Zeugen für eine Eigentumsübergabe. Er hieß „Brun des Sura“, besser: „Brun de (= lateinisch für „von“) Sura“. Das Bestimmungswort „Kirchen-“ wurde demzufolge erst später Teil des Ortsnamens. Wahrscheinlich leitet sich der Ortsname von den Gewässern Surerbach und Surbrunner Bach her, die sich hinter Kirchensur zur Murn, die in den Inn mündet, vereinen. Anna Oppenrieder von der Gemeinde Amerang nennt uns die lokale Aussprache: „Kiahasua“, mit Betonung des u im Grundwort -sur. Außerdem liefert sie uns den Zungenbrecher vom „Wirt z‘ Sur“! Der Ortsnamenforscher Hans Bahlow glaubt, Sur habe nichts mit „sauer“ zu tun, sondern sei ein prähistorisches Wort für Quell- und Sumpfwasser; Professor Albrecht Greule hält dagegen an der Bedeutung „salzhaltiges, saures Wasser“ fest. Da würden wir am besten eine Wasser-Realprobe machen. Zumindest geruchsmäßig! Armin Höfer