Rosenheim – Die Geschichte eilt dem Ende zu: Von den geplanten 20 Folgen, die den figurenreichen Roman Robert Musils auf die Bühne hieven, ging nun am Sonntag das Spiel in die drittletzte Runde. Der pompöse Titel „Die große Sitzung der großen vaterländischen Aktion“ reizte die Regie, der aufgedonnerten Feierlichkeit mit frech-flotter Musik entgegenzusteuern.
Das schuf ironische Distanz, unterstrich Musils satirischen Ansatz und bereitete dem Publikum über den ernsten Gehalt hinaus vergnügliche Unterhaltung. Milena Galvan Odar und Niclas Schilling hatten alle Hände voll zu tun, um nicht nur in diverse Rollen zu schlüpfen, um die hinterhältig ironischen Texte pointiert vorzutragen und dann auch noch witzig zu singen.
Die intelligenten und einfallsreichen Arrangements stammen von Thomas Schneider, der auch die Live-Musik (Natascha Juchert, Andreas Porsch und Jakob Greithanner) unter seiner Obhut hatte.
Das Publikum wurde von Diotima persönlich begrüßt und huldvoll in ihren Salon geladen. Der Schauplatz konnte wegen des Sommerwetters ins Freie verlegt werden. Von der Bühne ragte eine lange, festlich gedeckte Tafel ins Freigelände. Dicht besetzt nicht nur vom Publikum, sondern auch von den Spitzen der Wiener Gesellschaft. Tischkarten zeigten deren Platz an. Diesen Vertretern der Macht und des Geistes lieh zu gegebener Zeit Niclas Schilling seine Stimme. Um was geht’s genau? Das 70. Thronjubiläum Franz Josefs soll so gefeiert werden, dass die Welt gebannt nach Österreich starrt – und nicht nach Deutschland, wo Kaiser Wilhelm erst seit dreißig Jahren das Zepter in Händen hält.
Diotima, einflussreiche Grande Dame, wenn auch „nur“ mit einem hohen Beamten verheiratet, versucht, mit würdigem Charme die Richtung vorzugeben, wie die Feier vonstattengehen könnte: Die große patriotische Aktion müsse ein großes Ziel finden, das aus der Mitte des Volks aufsteigt! Geht’s konkreter? Vorläufig jedenfalls nicht. Erst solle eine Organisation geschaffen werden, welche die Bildung von Vorschlägen in die Wege leiten soll.
Und das gibt Musil die Gelegenheit, nicht nur das Personen-Karussell in Schwung zu halten, sondern auch die „kakanische“ Bürokratie und Mentalität mit geradezu liebevoller Süffisanz zu schildern. Graf Leinsdorf setzt auf Taktieren, um keine Verwicklungen zu riskieren. Seine Lieblingsfloskel: „Vorläufig definitiv“. Der Großindustrielle Dr. Arnheim aus Deutschland hat als „Preiß“ mehr Interesse an der Hausherrin und versucht, über die platonische Liebe zu irdischer Erotik vorzudringen. Die schwärmerische Clarisse schlägt ein Nietzsche-Jahr vor, aber diesen Unsinn schmettert Graf Leinsdorf rundweg ab, da hilft auch kein „vorläufig definitiv“ mehr. Der Vertreter aus dem Kriegsministerium mit dem schönen Namen Stumm von Bordwehr plädiert für eine Stärkung von Artillerie und Marine, während andere den „Friedenskaiser“ hochleben lassen wollen. Das Militär kontert, die geplante Kundgebung müsse nach außen wirken, und das sei die Macht des Volkes. „Der Gedanke des Staats sei nun einmal der der Macht – si vis pacem para bellum!“
Robert Musils Roman spielt anno 1913 und wir erschrecken über die beängstigende Aktualität. Gottlob brachten die Einlagen von Sänger und Band immer wieder entspannende Momente, in denen man über die Absurditäten oder Eitelkeiten der Welt schmunzeln, lächeln, sich amüsieren, ja auch lauthals lachen konnte.
Ein gut gelauntes Publikum sparte nicht mit langem und herzhaftem Beifall. Die Zielgerade ist nun eingeschlagen. Was werden Valerie Kiendl und Dominik Frank, das nimmermüde und ideenreiche „Regie-als-Faktor“-Team für die letzten beiden Folgen aus dem Hut zaubern?Walther Prokop