Halfing – Mal ehrlich: So ein echtes Schmuckstück, egal aus welchem Rohstoff, fällt nie aus der Zeit. So bleiben, wie die wirklich großartigen Werke der Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte, auch einige musikalische Wunderwerke immer modern. Ihre wertvollen Ingredienzen – von Menschen für Menschen geschaffen – machen sie zu Jahrhunderte überdauernde Dauerbrenner. Zwei dieser musikalischen Monumentalwerke durften am Wochenende die Konzertbesucher des Festivals in Immling genießen: Unter der musikalischen Leitung von Cornelia von Kerssenbrock wurden Antonín Dvoráks viersätzige Symphonie No. 9 in e-Moll, Op 95 und Carl Orffs „Carmina Burana“ aufgeführt.
Mit 51 Jahren war Dvorák von Prag aus zum Direktor der New Yorker Musikhochschule berufen worden, um den Amerikanern eine eigene Nationalmusik zu geben. Seine „Symphonie aus der Neuen Welt“, im Dezember 1893 in der Carnegie Hall uraufgeführt, beweist, dass er ein „Menschenversteher“ war. Er konnte sich auf fremde Kulturen einlassen, was ihm ermöglichte, aus deren „Geist“ die Charakteristika ihrer Melodien herauszufiltern.
So klingt die Symphonie No. 9 (auch heute noch) wie ein Aufbruch zu etwas Neuem. Aufregend und unglaublich spektakulär, eint es die Tonsprache tschechischer Volksmusik mit der Musik der amerikanischen Ureinwohner. Sie klingt, besonders in der großartigen Interpretation des Festivalorchester Immling, wie eine Liebeserklärung an die Musik selbst: Ein Wunderding, dass es schafft, den „Unbewegten“ zu bewegen. Assoziative Gedankenblitze von weiter Prärie, wogenden Fluten, unendlicher Weite und immer wieder eine Vielfalt an Farben und Formen – eine Art Rauschzustand, der Brücken baut in andere Dimensionen. Selbsterklärend, dass der Zauber nur dann aufgeht, wenn ihn die „Vermittler“, die Musiker also, tief durchdrungen haben und somit zu Gehör bringen können.
Der zweite Konzertteil war von einem der populärsten Werke der neueren Musikliteratur ausgefüllt: „Carmina Burana“ von Carl Orff, eine Kantate, die auf den Texten einer mittelalterlichen Liedersammlung beruht, die 1803 im Kloster Benediktbeuern entdeckt wurden.
Sie erzählen von fundamentalen Themen, jenseits von Zeit und Kulturkreis: Liebe, Sexualität, Glück und Leid. „Das Wichtige ist der Text“, so Carl Orff selbst. „Der wurde mit den Mitteln der Musik Klang und mit den Mitteln der Darstellung Bild. Die Sprache ist Geist und der Geist, der hinter diesen Worten ist, der wurde lebendig.“ Besser könnte ein Komponist sein Werk nicht in Worte fassen. Schon der populäre hymnische Anfangschor „O Fortuna“, die Anrufung der Schicksalsgöttin, ist umwerfend.
Der Festivalchor Immling feierte ihn im kraftvollen Gesamtklang, schmetterte, wohl artikuliert, und atmete ihn in belebender Frische. Dazu das Festivalorchester – ein harmonischer Klangkörper, der Glückshormone freisetzte, wie überhaupt die Gesamtleistung aller Mitwirkenden: Die Kinder, die nach Aufmunterung von Kerssenbrocks nach etwas schüchterner Zurückhaltung mit klaren und gut geprobten Einsätzen überzeugten. Der stimmgewaltige Chor, der sich körperlich im Gesang so gar nicht stillhalten wollte.
Am Klavier Ana Filipa Luz und nicht zuletzt die anspruchsvollen (weil in den Stimmlagen unbequemen Solo-Partien): Fabelhaft gemeistert von Maryna Zubko (Sopran), Matthias Frey (Tenor) und Jirí Rajniš (Bariton).
Und am Ende, nach langanhaltendem Applaus im Stehen, der Wunsch nach mehr, den die überglücklich wirkende von Kerssenbrock und alle mitwirkenden Musiker mit einer Zugabe gerne erfüllten.
Kirsten Benekam