Fliegende Wechsel vom Saxofon zur Rhythmusgruppe

von Redaktion

Das Quartett um den amerikanischen Jazz-Star Jesse Davis liefert eine Sternstunde des Le Pirate-Festivals ab

Rosenheim – Dem international gefragten Münchner Drummer Xaver Hellmeier und dem Zufall war es gelungen, einen der ganz Großen des Jazz im für das „Le Pirate“ passenden Zeitfenster nach Rosenheim zu lotsen. Der Saxofonist Jesse Davis wuchs in New Orleans auf und spielte mit Rufus Reid, Ray Brown, Roy Hargrove, Milt Jackson, Cedar Walton, Ron Carter, Jimmy Cobb und Hank Jones sowie mit dem in Rosenheim bestens bekannten Trompeter John Marshall. Auch der hiesige Drummer und Schlagzeugdozent Michael Keul („Samerberger Jazzensemble“) hatte in den Jahren 1988 und ´89 das Vergnügen, mit Davis in New York zu konzertieren. 1989 wurde Davis mit dem „Most Outstanding Musician Award“ durch das Magazin „Down Beat“ ausgezeichnet, einem der angesehensten Kritikerpreise überhaupt. Außerdem stand mit Thomas Stabenow einer der prägenden deutschen Kontrabassisten auf der Bühne, hinzu kam noch Julian Schmidt am Piano, der sein Studium in Graz und New York absolvierte und sich seinen Schliff bei ebenfalls in Rosenheim bekannten Jazzern wie Claus Raible und Tizian Jost holen durfte.

Ohne langes Vorspiel ging die Band bei bestem Wetter und hunderten Gästen gleich in die Vollen: Mit bluesigem Ton und mittlerem Tempo gab es von Beginn an feine Improvisationen von Davis´ Saxofon, geschmackvoll gefeatured durch die Rhythmusgruppe und den typischen Rundum-Warmup mit einigen Soli, aber noch zu leisem Piano. Der Sound war aber technisch rasch neu eingestellt, sodass das Quartett zu einer Ballade ansetzen konnte.

Warm und verträumt Jesse Davis am Saxofon, und jetzt mit einer Pianopassage zum Dahinschmelzen von Julian Schmidt, dann dezent auslaufend. Die beiden ersten Stücke dauerten in der Summe schon 25 Minuten – dies verdeutlicht den „Flow“ der Band und den Umfang von Komposition und Improvisation. Davis hatte sich schon früher mit den Kompositionen von Billy Strayhorn befasst, der die rechte Hand Duke Ellingtons war. Mit einer wunderbaren Ballade von Strayhorn, fein und melancholisch intoniert, ging es am Ölberg in Richtung Sonnenuntergang und Laternenbeleuchtung, das Timing der Band schloss sogar die Kirchenglocken noch mit ein. Doch die Band konnte auch powern – mit einem boppigen Stück im Up-Tempo, tollen Soli diesmal vor allem von Drummer Hellmeier ging es in die Pause und zum „Sammeln mit Hut“ durch Programmleiter Wolfgang Lentner. Nach der Pause sagte Jesse Davis keine Einzelstücke mehr an, Xaver Hellmeier kommentierte „das ist alles spontan auf der Bühne entstanden“. So war es denn auch, und die vielen Gäste konnten einer Dreiviertelstunde Spitzenjazz lauschen, der zwar irgendwie einen melodiösen und rhythmischen Rahmen aufwies, der Sound lebte allerdings von einem Höchstmaß an virtuoser Improvisation – Jazz at its Best. So gab es fliegende Wechsel vom Saxofon zur Rhythmusgruppe, die den Staffelstab an das Piano weitergab – und Julian Schmidt zauberte mit fliegenden Fingern an der Tastatur. Jesse Davis wiederum trug mit langen, jedoch nie aufgesetzten Saxofonsoli zum Gelingen bei, während Stabenow den ruhenden Pol bildete und Hellmeier sein Drumset raffiniert und niveauvoll zum Beben brachte. Davis kommentierte noch den Klang der Kirchenglocken als „divine intervention“, quasi als Signal für den Zieleinlauf, der nochmals mächtige Drum- und Saxofoneruptionen hervorbrachte und mit ebenso mächtigem und begeistertem Applaus des Publikums quittiert wurde.

Andreas Friedrich

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