Rosenheim – In der Kunstmühle, dem Ausstellungsort in Nachbarschaft der Mangfallauen, präsentiert der Kunstverein seit Freitag Werke der Münchner Künstlerin Melanie Siegel. „Build your own world“ lautet das Thema der Ausstellung, und die Gemälde zeigen eine Art Draufsicht auf Umgebungen, auf ein menschenloses Nebeneinander von Zivilisation und Natur.
Bilder, in denen sich die Natur zurückerobert, was ihr vom Menschen genommen wurde, gibt es zur Genüge. Nicht so bei Melanie Siegel, denn ihre urbanen, zivilisatorischen Elemente sind überwiegend Flächen der Freizeitnutzung, sie experimentiert mit der Ästhetik von Tennisplätzen und Swimmingpools. Dr. Olena Balun vom Kunstverein sprach in ihrer Einführungsrede zur Vernissage von „Weltenbau“, und von „konstruierten Landschaften, die aus Versatzstücken der realen Landschaften gebaut werden.“
Methodisch lässt sich Melanie Siegel, die ursprünglich Bühnenmalerei gelernt und später ihr Diplom an der Akademie der Bildenden Künste in München erworben hatte, von realer Architektur inspirieren, sei es durch persönliche Begehung oder durch Fotos und Satellitenansichten. Allerdings geht es der Künstlerin nicht um Fotorealismus, sondern um eine Neuinterpretation der Motive, denn sie verändert die reale Vorlage und experimentiert mit Perspektive, Lichtgestaltung und weiteren Techniken. Spielerisch wirkt ihr Umgang mit dem Schattenwurf der Vegetation in den Bildern 21 und 22 (Öl auf Leinwand sowie Acryl und Öl auf Leinwand) der Ausstellung, sie zeigen das Fortschreiten des Schattens und damit einen Prozess. Auch die Größenverhältnisse können ein Inhalt sein, wie ein kleiner runder Pool, der förmlich von einem wuchernden Umwald bedrängt wird. Das Bild „Poollandschaft“ (Nr. 25), zentral und dominant gehängt und in fulminanter Größe von 180 auf 280 Zentimeter, zeigt einen großen Pool, drumherum Fliesen in verschiedenen Tönungen, Sonnenschirme und Liegen. Das Gekräusel der Wasseroberfläche ist am Boden des Pools zu sehen. Der Clou ist aber der Schattenwurf eines nicht zu sehenden, aber nahen Waldes, denn die Hälfte der Wasseroberfläche ist schattiert. Zu Recht ist das monumentale Gemälde fünfstellig datiert.
Die Werke von Melanie Siegel haben etwas Visionäres in sich, sie zeigen Architektur, wie sie auch in Science-Fiction-Filmen vorkommen könnte – manche beinah schon Entwürfe wie auf Kongressen für Stadtplanung. Es gibt ein Hochhaus, das von sehr nahe stehenden Bäumen umrahmt wird, und auf dem Hochhaus ebenfalls Vegetation und eine kleine Freizeitoase mit Sonnenschirmen. Vielleicht eine Vorlage für die derzeit in der Klimadiskussion angeregte „Stadt als Schwamm“, die zur Kühlung Feuchtigkeit speichert und langsam wieder abgibt. Melanie Siegel variiert die Spielarten von Vegetation: In Bild 15 („Tennisplatz“) gibt es im geometrischen Muster einer Tennisanlage domestiziertes Grün zur Abtrennung der einzelnen Plätze, während die Anlage von einer wild wuchernden Pflanzenwelt umrahmt wird. Bei genauem Hinsehen kann man Farne in der Vegetation erkennen – eine uralte Spezies aus der Zeit der Entstehung der Erde.
Siegels Werke können anregen zu eigenen Neuentdeckungen in vermeintlich schon bekannter Umgebung – wie wäre es mit einer Neubegehung von Tennisplätzen oder menschenleerem Hotelpool im nächsten Urlaub unter ästhetischen Gesichtspunkten? Andreas Friedrich