Rosenheim/Westerndorf am Wasen – Die „Inntaler Klangräume“ – drei Konzerte in drei verschiedenen Kirchen und mit unverwechselbarem Profil: Renaissance in Attel, Wiener Klassik plus alpenländischer Dreig’sang auf dem Kirchwald und in Westerndorf am Wasen „Bach pur“. Der bildende Künstler Andreas Legath (in Personalunion zugleich Musiker) bündelt sein großes Projekt zu einem Gesamtkunstwerk von überwältigender Intensität. Was der Geistlichkeit nicht mehr gelingen will, Legath sorgt für volle Kirchen.
Dabei bietet sich der Initiator und künstlerische Leiter nicht dem Mainstream an, sondern schmiedet „elitäre“ Programme, ästhetisch ausgetüftelt mit Perfektion und erfüllt mit prallem Leben. Solche Höhepunkte im regionalen Konzertleben reißen das Publikum zu prasselndem Beifall hin. Für die musikalische Ausführung stehen Legath erste Kräfte zur Verfügung. Der große Star des letzten Abends in Westerndorf am Wasen war die Cellistin Anja Lechner. Sie spielte die 3. Solo-Suite von Johann Sebastian Bach; die einzelnen stilisierten Tanz-Sätze wurden unterbrochen von geistlichen Liedern aus dem „Musikalischen Gesangbuch“ von Georg Christian Schemelli. Bach hatte die Bassstimmen (den „Generalbass“!) ergänzt, neu dazu komponiert oder verbessert, wo ihm die harmonische Entwicklung anderer Komponisten zu lasch erschien. Einige Melodien sind sogar vom Thomas-Kantor höchst selbst dazu komponiert worden.
An der Orgel begleitete Kaori Mune-Maier, die als Solistin das Programm schon mit Bachs Präludium in d-moll eingeleitet hatte. Priska Eser (Sopran) und Andreas Hirtreiter (Tenor) gestalteten diese Gesänge mit warmem Ausdruck und Delikatesse, so verlor sich der leicht süßliche Geschmack der pietistischen Texte. Beide Sänger haben das Zeug zu oratorienhafter Emphase, dimmten aber ihre Kraft, um dem intimen Charakter der Lieder gerecht zu werden („O Jesulein süß“). Den Generalbass musizierte Anja Lechner so leicht, dass es schon ein Genuss war, nur diesem edlen Cello-Klang zu lauschen. Und wenn das Gefühl nicht täuscht, ließen sich auch Priska Eser und Andreas Hirtreiter von dem Schwung der Cellistin quasi mitnehmen.
Generalbass und die Solo-Suite – das bedeutete für Anja Lechner einstündigen, ununterbrochenen Einsatz. Mit Verve, Eleganz und stupender Virtuosität (selbstverständlich in dieser Liga) stellte die Cellistin das häufige Vorurteil eines strengen, gar abstrakt-spekulativen Bach souverän in Frage.
Die Courante – da steckt das Wort „laufen“ drin – wieselte flink ihres Wegs, ganz entspannt und lustvoll. Anja Lechner kostete alle Schönheiten aus, differenzierte minutiös Tempi und Dynamik und brachte so diese Musik zum Sprechen und wahrhaftig auch zum Tanzen.
Das Finale der Suite, also die Gigue, nahm Anja Lechner in einem Tempo, dass man meinte, die Töne purzelten wie glitzernde Konfetti. Dem Instrument entlockte die Cellistin einen körnigen, warmen Klang, der auch in der Tiefe seine sanfte Weichheit nicht verlor. „Laetitia“ – also „Fröhlichkeit“ – lautete das Motto dieses letzten Konzertabends. Daran war nicht zu zweifeln.Walther Prokop