Diese Musik ist Trost in trostloser Zeit

von Redaktion

Jahrhundert-Geiger Gidon Kremer begeistert bei „Festivo“mit Mozart und Kancheli

Thansau –Seine Worte waren groß. Mit dem Gastspiel dieses „Jahrhundert-Geigers“ sei das Foyer von Schattdecor endgültig zu einer „Kathedrale der Kammermusik“ geworden, so „Festivo“-Leiter Johannes Erkes. Und tatsächlich: Dass eine weltberühmte Musiker-Persönlichkeit wie Gidon Kremer in Thansau bei Rohrdorf im persönlichen, intimen Rahmen konzertiert, das ist eine echte Sensation.

Schon vor drei Jahren weilte Kremer erstmals beim Aschauer Kammermusik-Festival. Damals musizierte er jedoch mit seiner „Kremerata Baltica“. Beim jetzigen „Festivo“- Gastspiel präsentierte er sich nun mit Georgijs Osokins am Klavier und der Cellistin Gieedre Dirvanauskaite in Duo- und Trio-Formationen. Sie stammen ebenfalls aus dem Baltikum.

Ein zeitkritisches
und kluges Programm

Für „Festivo“ ist Kremer eine zentrale Bezugsgröße.

Das von ihm begründete Kammermusik-Festival im österreichischen Lockenhaus inspirierte nämlich Erkes 1993 zur Gründung des Aschauer „Festivo“. Für sein zweites Konzert hat Kremer einmal mehr ein kluges, zeitkritisches Programm zusammengestellt. Jedenfalls schien der Kammerabend in Teilen wie ein nachdenklicher Kommentar auf die Abgründe unsere Gegenwart.

Da ist die Instrumental-Bearbeitung für Violine und Klavier von Osokins der Chor-Motette „Ave Verum Corpus“ KV 618: Mozart hatte sie kurz vor seinem Tod komponiert, zwischen der „Zauberflöte“ und dem „Requiem“. In dieser stillen Musik geht es um die Leiden Jesu. Diese Todes- und Erlösungsbotschaft schlägt wiederum eine Brücke zum Klaviertrio „Middleheim“ des vor drei Jahren verstorbenen Georgiers Giya Kancheli von 2016. Der Titel verweist auf ein Krankenhaus in Kanchelis Wahlheimat Antwerpen, wo ihm mehrmals das Leben gerettet wurde: eine Reflexion von Todesnähe und Genesung. Das erinnert an Werke von Alfred Schnittke wie das Cellokonzert Nr. 1, die unmittelbar vor und nach seinem ersten Schlaganfall 1985 entstanden sind. Ähnlich wie Schnittke arbeitet auch Kancheli mit mikrotonalen Reibungen. Inmitten einer tonalen Musik brechen Dissonanzen herein. Diese gespenstische Stimmung setzte sich nach der Pause im zweiten Satz aus dem Klaviertrio Nr. 2 von Franz Schubert fort.

Auch dieses Werk von 1827 ahnt den nahen Tod. Der zweite Satz marschiert schattenhaft, um bald zwischen innigster Lyrik und größter Dramatik zu wechseln. Diese Ereignisdichte hat unüberhörbar den zweiten Satz aus Robert Schumanns Klavierquintett von 1842 inspiriert.

Das Narrativ zwischen diesen drei Werken haben Kremer, Osokins und Dirvanauskaite überaus intensiv verlebendigt. Dabei glänzte in Schuberts Klaviertrio nicht zuletzt die Cellistin mit berührenden Kantilenen. Die klangsinnliche Schönheit im Spiel von Dirvanauskaite blieb nach dem Konzert noch lange im Ohr. Ein schauriger Hörroman überdies das Trio von Kancheli. Wie zudem Kremer aus Mozarts „Ave Verum Corpus“ und der Violinsonate KV 454 eine zarte, fragile Schönheit zauberte, ohne große Geste, das wirkte wie ein Bekenntnis.

Ein Hauch
Musikgeschichte

Jede einzelne Note schien vom Publikum aufgesogen zu werden wie ein wortloses Orakel.

Als Zugabe spielte das Trio den nicht minder weltentrückt schönen Mittelsatz aus dem Tripelkonzert op. 56 von Ludwig van Beethoven. Auch diese Musik spendete Trost in diesen trostlosen, abgründigen Kriegszeiten. An diesem persönlichen, im Grunde exklusiven Abend wird man sich noch lange erinnern: ein Hauch Musikgeschichte.

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