Ein ganzes Leben in einem Konzert

von Redaktion

Seinen 88. Geburtstag feiert Jazzpianist Abdullah Ibrahim auf der Bühne

Söllhuben – Eine über einstündige Suite seiner musikalischen Lebenslinien ließ Abdullah Ibrahim auf seinem Fazioli-Flügel beim Hirzinger in Söllhuben Revue passieren. Zu seinem 88. Geburtstag beschenkte der Jazz-Pianist sich und sein Publikum (mit Zusatzkonzert am Folgeabend) mit einem Konzert der Extraklasse. Solopiano war kein Mitschnitt seiner zuletzt erschienenen Alben „Dream Time“ und „Solotude“, sondern eine Zeitreise. Sei es das „Trieste my love“, der „Blue Bolero“, das „Capetown District Six“ oder das Stück „For Coltrane“: Abdullah Ibrahim fügte seinen bekannten Stücken so viele neue Melodien in sensationell-wundersamer Harmonie und Schönheit hinzu, dass man aus dem Staunen ob der Improvisationskunst nicht herauskam.

Nicht enden
wollender Fluss

Die bewusst gesetzten Pausen sorgen für Spannung. Es ist ein nicht enden wollender musikalischer Erzählfluss, der weder im Presto noch impulsiv daherkommt, nein, es herrscht erhabene Ruhe. Sein Ton ist von aufrichtiger Klarheit geprägt. Selbst wenn die linke Hand rhythmische Bassmelodien à la Thelonius Monk anschlägt, hört man sorgfältig gesetzte Akkorde, die Kontrapunkte für die frei mäandernde Rechte liefern. Da geht es Tonleitern hinauf, da eilen die Finger mit perlenden Läufen wieder hinab. Durakkorde sorgen für Strukturierung und Ruhe. Die Suite ist auf das Wesentliche reduziert, zielt nicht auf Effekt ab, sondern lässt jedem einzelnen Ton Zeit zum Atmen und zum Singen. Ab und an klopft der linke Fuß den Beat mit, sorgsam werden die Pedale eingesetzt. Mucksmäuschenstill ist das Publikum, das den Pianisten auf seiner musikalischen Zeitreise begleiten darf. Und der Künstler, vielen unter seinem früheren Künstlernamen Dollar Brand bekannt, hat viel zu erzählen, war er doch schon als Kind und Jugendlicher in Kapstadt einem fruchtbaren Mix an Musikstilen von traditionellen afrikanischen Liedern bis zur Klassik ausgesetzt. Aus Protest gegen das Apartheidsystem seiner südafrikanischen Heimat verließ er Südafrika, verbrachte Jahrzehnte in Europa und den USA, wo er in New York unter anderem kurzzeitig mit Duke Ellington arbeitete, schrieb mit „Mannenberg“ eine Antiapartheidhymne und spielte bei der Inauguration Nelson Mandelas 1994. Heute ist er, inzwischen zum Islam konvertiert, auf allen Kontinenten zu Hause.

Anmutige und
berührende Klangwelt

Sein bewegtes Leben fasste der Künstler mit seinem Geburtstagskonzert zusammen. Mal mit geschlossenen Augen, mal mit einem kurzen Blick ins Publikum. Den stehenden Ovationen, die er mit einem bescheidenen Lächeln und einer kleinen Verbeugung entgegennahm, ließ er eine beinahe meditative Zugabe auf dem Flügel folgen. Was für eine anmutige, anregende, an- und berührende Klangwelt für Solopiano. Mögen noch viele Geburtstagskonzerte folgen.

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