„Das Ja zum Nein mit Witz und Galle“

von Redaktion

Uwe Dicks „Sauwaldprosa“ ist unwiderruflich abgeschlossen

Rosenheim – Da liegt sie nun, 1,4 Kilogramm schwer, 666 Seiten bzw. 1200 Textsäulen lang und signalrot eingebunden: die nach über 50 Jahren und sechs vorläufigen jetzt „unwiderruflich abgeschlossene“ Ausgabe der „Sauwaldprosa“ von Uwe Dick, der sich selbst wechselweise einen „Satzbauer“, „Sprachbildhauer“ oder „Saprophilosophen“ nennt, also einen Philosophen, der aus verwesenden Stoffen der neueren und älteren Literaturkritik lebt; der sich als „Sprachspieler und Schaupoet“ bezeichnet oder auch als „Wort-Midas“, dem jedes Wort zu Gold gerät, der ein „Sprachmusiker“ ist oder, wie der Literaturkritiker Reinhard Wittmann schreibt, „der sprachgewaltigste Dichter Deutschlands“.

Wortkünstler mit ausgeprägtem Ego

Bescheidenheit ist nicht Dicks vorherrschende Tugend. Zumindest ist er ein Assoziationswütiger („Assoziationen sind das halbe Leben“, schreibt er), ein Wortspielsüchtiger und Kalauer-Liebhaber.

Uwe Dick ist am 21. Dezember 1942 in Schongau geboren, wächst in Heimen heran, arbeitet in einer Kupferschmiede, einer Zahnfabrik und in einem Chiemgauer Berggasthof, bis er schließlich beim OVB in Rosenheim volontiert und Redakteur wird. In Rosenheim gründet er – wie in der „Sauwaldprosa“ zu lesen ist – mit dem legendären Germanisten und Deutschlehrer Hans Ziegler die „Sprechschule Rosenheim e.V.“, in der Kinder freies Sprechen lernen, schreibt über einen ominösen Sepp Selberdinger, der haarsträubende Verschwörungsgeschichten fabuliert, mokiert sich darüber, dass der 1978 neu organisierte Historische Verein Rosenheim im Vorstand angeblich keinen einzigen Historiker hat, und sitzt häufig im damaligen „Stechl-Keller“ in der Heilig-Geist-Straße. Später wohnt er auf dem „Salamanderberg“ über Brannenburg und auch in Wasserburg, im Goldbeckerhaus am Marienplatz. Jetzt ist Niederperlesreut im Bayerischen Wald seine Heimat. 2007 erhielt er den Jean-Paul-Preis.

Der Sauwald ist geografisch bestimmbar: er liegt südlich der Donau und dem Kloster Engelhartszell. Er ist aber vor allem ein literarischer Ort und liegt „in mir, einem Kollektiv von Personen verschiedener Jahrhunderte.“ Die Devise ist: „Mein Sauwald bedarf keiner Handlung.“ In der Tat: Diese 666 Seiten sind kein Roman (ein Roman ist für ihn „die Rabatte geistiger Kleingärtner“), ein wildes Sammelsurium von Zitaten, wobei Jean Paul, der Philosoph Ludwig Marcuse, Elias Canetti und Ossip Mandelstam seine Hausgötter sind, während er sich unentwegt an dem Philosoph Martin Heidegger abarbeitet, Beschimpfungen aller, die ihn bei seinen Radltouren am Inn entlang stören „(Monolog eines Radfahrers“), Beschimpfungen von Journalisten, die er wechselweise als „Akadeministranten“, „Feuilleton-Ignoranten“, „Litera-Toren“ oder gar „Gedankenstrichmädchen“ apostrophiert und Beschimpfungen aller Ignoranten.

Dazu Notationen von allem, was ihm im Kopf herumspukt – und das ist sehr, sehr viel, denn „Das Ja zum Nein mit Witz und Galle“ ist eine seiner Schreib- und Denkdevisen, auch ein „spielfreudig frotzelnder Spott“. Dazwischen liegt ein sperriges Theaterstück mit dem Titel „Wo ist Tirol?“ mit genauen Angaben zu der gespielten Musik. Irgendwann versucht Dick – vergeblich – mittels eines durchgehenden Alphabets als Kapitelüberschrift etwas wie Ordnung einfließen zu lassen, was die überquellende Fülle seiner Gedanken aber nicht kanalisieren, stauen oder gar stoppen lässt.

Sprachlich sperrig,
dabei aber einzigartig

Alles ist deutlich von der sprachlichen Artistik von Arno Schmidt, dem „Volxschriftsteller“, inspiriert, Dick entwickelt seine eigene Sprech- bzw. Schreibweise. Ein Beispiel, wahllos herausgegriffen: „Z, aber kein Ende des Sauwalds. Vielmehr Bello mit dem Gnadenfleck, trojanische Schweine, Maikäfers Erzählungen im grünen Haus, der Saukopf am Totenbett, die Gufflwirtin, roter Quarzit in der Pfudabeuge, der Hundefriedhof der Fürstin Eduardine Khevenhüller-Metsch und die zahme Sau, die ihr folgte, Schweine, die Schafswolle geben und Socken, die Wildschweine vertreiben, Karl Rieglers Disputata del Sacramento, der Herz-Jesu-Bäck, Simbacher Apokalypsen, des Totenrasieres und Kammerjägers Rimmele Unvollendete – Aber Z und Schluss jetzt!“

Gegen Ende zitiert Dick zustimmend-kokett Arno Schmidt: „…so von 2,3 Menschen würde ich ganz gern…einigermaßen begriffen…“ – und lacht dazu: „Hey!, was für ein Maximalist!“ Die Lektüre des Buches dieses zornig-sprachvirtuosen Dick-Schädels ist wechselweise hochamüsant, anstrengend oder wütend machend, aber doch auch reiz-voll in des Wortes vollster Bedeutung.

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