Traunstein – „Architektur ist ein Werkzeug, um das Leben besser zu machen.“ Diesem Arbeits-Motto folgt Anna Heringer aus Laufen. Nachdem sie für ihre weltweit realisierten Bauprojekte mit renommierten Architekturpreisen ausgezeichnet worden ist, bekam die 45-Jährige heuer sogar das Bundesverdienstkreuz verliehen. Als Vorreiterin für nachhaltiges Bauen gab sie im Rahmen der Kunstsprechstunde in Traunstein nun Einblick in ihr Verständnis von Architektur, lokalen Bautraditionen, sowie sozialem Engagement.
Bundesweit
einzigartiges Projekt
Zusammen mit dem Büro von Helmut Mühlbacher, Künstler, Landschaftsarchitekt und Initiator der Kunstsprechstunde, realisiert Heringer aktuell auf dem Gelände des Campus St. Michael in Traunstein ein bundesweit neuartiges Forumsgebäude in Lehmbauweise. Entsprechend groß war das Interesse an ihrem Vortrag im Offenen Raum Traunstein, der platzmäßig an die Kapazitätsgrenze geriet.
Heringer machte deutlich, wie ein Auslandsaufenthalt und die Arbeit für eine Nichtregierungsorganisation in Bangladesch nach dem Abitur ihr späteres Verständnis für Architektur beeinflusst hat. Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit an der Kunstuniversität Linz entwarf und realisierte sie einen zweigeschossigen Neubau der METI Handmade School in Bangladesch – aus Bambus, Stroh und Lehm.
„Wir hatten Wasserbüffel als ,Mischmaschine‘. Für die Kinder wie auch die Anwohner war es eine Riesenfreude, dass sie voller Selbstbewusstsein am Bau ihrer Schule mitwirken konnten“, erzählte die Architektin. Zudem konnte sie zeigen, dass Lehm als regional verfügbarer, ressourcenschonender und recyclebarer Baustoff als „Champion nachhaltiger Baukunst“ bei passender Verarbeitung sogar häufigem Monsunregen trotzt. Die enge Einbindung von lokalen Handwerkern und Baumaterialien in das später mit internationalen Architekturpreisen ausgezeichnete Projekt wurde stilbildend für Heringer.
Dass sich Lehm anders als Glas, Stahl und Beton nicht nur als Kit für Wände, sondern auch als bodenständiger Emulgator für soziale Gemeinschaften eignet, machte Heringer an weiteren Beispielen deutlich. In Ghana baute sie ein Bildungsforum der Salesianer-Schwestern.
Im österreichischen Vorarlberg bezog sie für Entspannungs- und Kreativräume Motive aus Afghanistan, Mexiko und Afrika in die Gestaltung ein. In Vorarlberg konzipierte sie mit 600 lokalen Unterstützern einen Geburts- und Sinnenraum. In Worms wirkte die Architektin zum 1000-jährigen Jubiläum des Doms. Bei der Schaffung des neuen Hauptaltars, natürlich aus Lehm, vereinte sie das Bauen mit historischer Spurensuche, generationenübergreifendem Sing- und Lehmstampf-Happening und Sozialarbeit.
Wen wundert’s, wenn die Laufenerin das Bauen mit Lehm und speziell auch die sozialen Faktoren des Bauprozesses als „form follows love“ bezeichnet – in Anlehnung an den berühmten Ausspruch des Hochhaus-Architekten Louis Sullivan. Wie stark reduzierte Wohlfühl-Räume aus Naturmaterialien das gesundheitliche Befinden fördern, machte Heringer am Beispiel des RoSana-Ayurvedazentrums in Rosenheim deutlich.
Ausstellungen in international renommierten Museen in New York, Paris, London oder auf der Biennale in Venedig, Lehraufträge an der Harvard University, der ETH Zürich und der TU München sowie zahlreiche weltweit anerkannte Architekturpreise machen das Kaliber von Anna Heringer deutlich. Die UNESCO verlieh ihr gar den Ehrenprofessorentitel für „Earthen Architecture, Building Cultures and Sustainable Development“.
Im Gespräch in Traunstein wirkte die global agierende Laufernerin dagegen unkompliziert und fröhlich wie die „nette Architektin von nebenan“. Am Beispiel der Vorfertigung von Bauteilen und der bürokratischen Hürden für das neue Forumsgebäude in Traunstein zeigte Heringer die hohen Widerstände auf, mit denen sie durch ihr unkonventionelles Architekturkonzept immer wieder konfrontiert ist.
Globales Denken,
regionales Schaffen
Lehm ist für Anna Heringer mehr als nur ein global verfügbarer Baustoff: er bietet Schutz, ist Teil der Erde, auf der wir stehen und damit auch sinnstiftend. Dass sie sich auch stark für die Förderung und Rechte von Frauen engagiert, macht nicht nur ihr Büroteam in Laufen deutlich. Zusammen mit Mitarbeiterin Lucia Perianes präsentierte sie beim Vortrag in Traunstein Kissen und Kleider, die im Rahmen eines Kleiderrecycling-Projekts von Frauen aus Indien hergestellt worden sind.