Ein „dialektaler Menschenfischer“ liest Thomas „Heilige Nacht“

von Redaktion

Veranstaltung am 9. Dezember mit Pfarrer Rainer Maria Schießler im Rosenheimer Kultur- und Kongresszentrum

Rosenheim – Pfarrer Rainer Maria Schießler spricht im Interview über seine zweite Heimat Rosenheim, Christkindlmärkte, Konsum und nicht zuletzt darüber, worauf es an Weihnachten wirklich ankommt – da kommt die Beschäftigung mit Ludwig Thomas „Heiliger Nacht“ anlässlich einer Lesung im Kuko gerade recht.

Vor 30 Jahren waren Sie Kaplan in Rosenheim. Wie ist es für Sie, wieder zurück zu kommen?

Rosenheim ist meine zweite Heimat. Immer wenn ich nach Rosenheim komme, aus welchem Anlass auch immer, ist es für mich, wie in die Heimat zu kommen.

Und wenn Sie schon mal da sind, werden Sie auch den Rosenheimer Christkindlmarkt besuchen?

Da gehe ich natürlich durch! Ich komme nie schadlos an einem Glühweinstand vorbei. Ich bin selbst nicht der größte Christkindlmarkt-Besucher, aber es gehört einfach dazu. Sich alles anzuschauen und auch eine feine Bratwurst zu essen.

Was ist für Sie das Besondere an Weihnachten?

Die Grundlage meines Lebens und Glaubens. Die Tatsache, Gott an meiner Seite zu wissen, nimmt mir jede Angst. Weihnachten macht mir meine Herkunft klar. Denn ich komme von dem, der alles ist, was mein Leben ausmacht. Er tritt ein in mein kleines, menschliches und schwaches Dasein. Weihnachten gibt mir zudem die Sicherheit, da tritt jemand an meine Seite, der niemals wieder von mir weichen wird. Darum bin ich gerüstet, um mich allen Herausforderungen meines Lebens stellen zu können.

Sie sind an Weihnachten sehr beschäftigt. Gibt es dennoch eine Tradition, auf die Sie an diesem Tag nicht verzichten wollen?

In den zwei Stunden, die ich mir für mich nehme an Heiligabend, rufe ich die Menschen an, die in jüngster Zeit einen Verlust erlebt haben. Das habe ich in meiner Zeit als Kaplan in Rosenheim, 1987 bis 1991, angefangen. Es sind Menschen, wo vielleicht der Partner gestorben ist, die Beziehung auseinander gegangen ist oder die ihr geliebtes Haustier verloren haben. Diesen Menschen gebe ich zu verstehen, dass ich mit den Gedanken bei ihnen bin und sie nicht alleine sind.

Tun Sie das, weil die Menschen an Weihnachten rührselig werden?

Nein, weil wir genau das tun müssen, was das Weihnachtsevangelium beschreibt. Die Menschenfreundlichkeit Gottes wird greifbar. Aber das geht nur durch uns Menschen. Für mich ist das immer mein persönlicher Höhepunkt an Weihnachten, wenn die Menschen spüren, dass jemand ihnen ganz nahe ist und an sie denkt. Darum schreiben wir uns ja auch Weihnachtspost, so einfach ist das.

Viele Menschen denken mit Hilfe von Geschenken aneinander.

Das ist ein ganz wichtiges Thema, denn es darf weder nur noch um Äußerliches, Geschenke und Glühwein gehen, noch soll das einfach fehlen. Aber das Fest wird nicht mehr wahrgenommen, wenn es blutleer wird und der Inhalt wegbricht, wenn nur noch die äußere Fassade bleibt.

Sie lesen die „Heilige Nacht“ von Ludwig Thoma. Wieso haben Sie diese Geschichte gewählt?

Ich wurde gefragt! Davor habe ich sie noch nie gelesen, aber ich übe schon sehr fleißig! Und ich sag’s, wie es ist: Es ist schon schwer und der Vortrag hat es in sich.

Aber Ihr Bairisch ist doch hervorragend. Müssen Sie dennoch üben?

Ich hatte gute Eltern, die mich zweisprachig erzogen haben, hochdeutsch und bairisch. Aber Bairisch zu lesen, da musst du dich schon anstrengen und hoch konzentriert sein. Aber ich
traue es mir zu, bin doch vor ein paar Jahren selber ein bairisch-sprechender Preisträger geworden. In Straubing während des Gäubodenfestes erhielt ich die „Bairische Sprachwurzel“. In der Begründung, ich sei ein „dialektaler Menschenfischer“, cool, oder?

Was kann man aus dieser Geschichte lernen?

Die letzten vier Sätze der „Heiligen Nacht“ sind der Schlüssel für diese Frage. Es geht um die Armut der Welt. Diejenigen, die nichts mehr haben, können auch annehmen.

„Und fragt’s enk, ob dös nix bedeut’, / Dass’s Christkind bloß Arme g’sehg’n hamm.“. Von was für einer Armut wird hier gesprochen?

In der Herberge der Welt war kein Platz für Gott, dennoch ist Gott in unser Leben hereingebrochen, und die Armen haben ihn aufgenommen. So wurde die Armut umgekehrt und überwunden. Sie haben ihn angenommen und wurden dadurch reich gemacht. Wir müssen also in dieser Welt Platz für den Herrn Gott schaffen und dann werden wir wieder merken, wie reich wir eigentlich sind.

Sehen Sie auch einen Bezug zum Krieg in der Ukraine?

Ich selbst habe zwei Familien bei mir aufgenommen. Ich habe selten so eine Hilfsbereitschaft erlebt, wie wir jetzt in unserem Land für die Menschen aufbringen, die aus der Ukraine zu uns gekommen sind. Wir können stolz aufeinander sein, was wir alles zusammen stemmen und bewältigen. Mich freut es einfach nur, wenn sich die Menschen füreinander einsetzen. In diesem Moment wird‘s so richtig Weihnachten.

Interview: Jennifer Beuerlein

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