Rosenheim – Goethe hat er als ein unerreichbares Idol verehrt. Schon in seiner Studentenzeit schreibt er über Goethes Faust: „Jede Zeile, jeder Satz./jedes Wörtlein ist ein Schatz./ Ihn zu heben halt bereit/eine ganze Lebenszeit.“ Die Rede ist von dem Rosenheimer Arzt, Schriftsteller und Bergfreund Julius Mayr. Sein Urenkel Professor Dr. Dietmar Hundt hat eine Biografie über Julius Mayr geschrieben, die jetzt im Regensburger Pustet Verlag erschienen ist. Auf Einladung der Goethe Gesellschaft Rosenheim gab Hundt im Künstlerhof am Ludwigsplatz einen Überblick über Leben und Werk Mayrs. „Julius Mayr war ein talentierter, vielseitig interessierter und begabter Mann“, erklärte Hundt. In der Ausstellung über Mayr im Rosenheimer Stadtarchiv vor acht Jahren sei vor allem der Schriftsteller im Mittelpunkt gestanden, obgleich der Nachlass bestehend aus hunderten, oft schwer zu entziffernden Blättern damals noch nicht ausgewertet war.
Geboren 1855 in Rotthalmünster und 1935 gestorben in Brannenburg, vereinte Mayr in sich ganz unterschiedliche Interessen. Mayr, der früh seine Eltern verlor, besuchte im Kloster Metten die Lateinschule, die laut Hundt die Grundlage für sein unglaubliches humanistisches Wissen gelegt habe. Nach dem Abitur in München studierte Mayr Medizin und heiratete 1880 seine geliebte Frau Auguste.
Mayr wurde Praktischer Arzt und Königlich-Bayerischer Bezirksarzt. Zugleich entdeckte er als leidenschaftlicher Alpinist die Liebe zu den Bergen. Er war viele Jahre lang Vorsitzender der Alpenvereinssektion Rosenheim und gilt als Vater des Brünnsteinhauses. Bereits mit Ende Vierzig ließ sich Mayr aus gesundheitlichen Gründen in den dauerhaften Ruhestand versetzen. In Brannenburg baute er sich ein Haus und lud dort über Jahrzehnte zu geselligen Runden ein. Bekannt geworden als Schriftsteller ist Mayr vor allem durch eine Biografie über Wilhelm Leibl, mit dem er eng befreundet war. Seine Erzählungen mit dem Titel „Auf stillen Pfaden“, aus denen Hundt eine Passage las, zeigten Mayrs gute Beobachtungsgabe und seinen Sinn für Humor. Mayr war stets stolz darauf, ein Landbub zu sein. Ländliches Brauchtum habe er als ein hohes Kulturgut angesehen. Ein großes Talent hatte Mayr auch als Dichter, etwa im Liebesgedicht „Einsamkeit“, das er nach dem Tod seiner Frau schrieb. Wie Goethe, dessen „Schenkenbuch“ aus dem West Östlichen Divan dem Weingenießer Mayr besonders gut gefallen hat, sei er ein Schauender und Betrachtender gewesen. In seinen späten Jahren habe Mayr laut Hundt sogar das Unheil des Nationalsozialismus vorausgesehen.
Hundt erhielt nach dem Vortrag von seinem überraschend aus Frankfurt angereisten Cousin zum Geschenk den Druck eines Bildes von Wilhelm Leibl, das Julius Mayrs Frau Auguste zeigt und sich heute im Privatbesitz befindet. Hundts sorgfältig recherchierte, in liebevoller Bewunderung geschriebene Biografie sei allen Lesern empfohlen, die Leben und Werk von Julius Mayr genauer kennenlernen wollen. Georg Füchtner