„Keine Angst vor dem anderen Leben“

von Redaktion

Pippo Pollina und Thomas Sarbacher begeistern bei Lesung mit Musik im Ballhaus

Rosenheim – „Man sollte keine Angst vor dem anderen Leben, dem anderen Teil von uns haben, der immer gegenwärtig ist, der hinter einem Busch lauert. Unser Ego ist schließlich unser größter Feind.“

Mit diesem philosophischen Satz, der den Kernkonflikt in Pippo Pollinas Debütroman „Der Andere“ beschreibt, eröffnet der bekannte Schauspieler Thomas Sarbacher die Lesung mit Musik, mit der beide im nahezu ausverkauften Rosenheimer Ballhaus Station machten. Die Bezeichnung „Lesung mit Musik“ umspannt jedoch bei Weitem nicht den ganzen Bogen der Eindrücke. Vielmehr ist es ein Gesamtkunstwerk, das die beiden Akteure auf die Bühne bringen, untermalt von kraftvollen und stimmungsvollen Bildern, teilweise auch Videos von Flavia di Piazza.

Stille Corona-Zeit
für sich genutzt

Pippo Pollina, in ganz Mitteleuropa erfolgreicher sizilianisch-schweizerischer Liedermacher, gelang es, die zwangsweise „stille“ Corona-Zeit positiv zu nutzen, um ein neues Album, „Canzoni Segrete“, und eben seinen Debütroman „Der Andere“ zu schreiben. Mittlerweile ist die 1. Auflage bereits vergriffen.

Thomas Sarbacher arbeitet als freischaffender Schauspieler in Deutschland und der Schweiz. Neben verschiedenen Filmrollen spielt er am Züricher Theater, macht Lesungen und spricht Hörbücher ein.

Thomas Sarbacher liest mit seiner unverwechselbaren Stimme zentrale Fragmente des Romans, mal leidenschaftlich, mal nüchtern-distanziert, die sich abwechseln mit Stücken in italienischer, sizilianischer und deutscher Sprache von Pippo Pollina, die zentrale Themen des Buchs aufgreifen: etwa wahre, verzeihende Liebe („Ti vogghiu beni“, „Lass mich bei dir sein“ von Hildegard Knef) oder Heimat und Freiheit („Terra mia“ von Pino Daniele). Aber auch Falco und sein „Kommissar“ werden gecovert, als es um Ermittlungen zu Mafiaverflechtungen geht – ein Überraschungsmoment.

Pippo Pollinas Roman erzählt die Geschichte zweier Männer, beide Ende der 1950er-Jahre geboren, die weit entfernt voneinander aufwachsen und zunächst keine Berührungspunkte miteinander zu haben scheinen. Der eine, Frank Fischer, ist ein aufsteigender Stern am Journalistenhimmel und wird bekannt durch seine Investigativrecherchen, vor allem auf dem Gebiet der Verflechtungen der Mafia. Der andere, Leonardo Conigliaro, genannt Nanà, lebt in Camporeale, einem Bauerndorf in Sizilien, und ist Arzt. Es gibt zahlreiche Ähnlichkeiten in den Leben der beiden Männer, etwa komplizierte Liebesbeziehungen und die Gegenwart der Mafia, sei es in der eigenen Familie, sei es im Beruf. Der erzählerische Bogen spannt sich im Roman über 41 Fragmente von 1988 bis 2001. Die für die Lesung ausgewählten Fragmente greifen die trotz aller Unterschiede so parallelen Schlüsselerlebnisse Franks und Leonardos auf. Der dramatische Schluss bleibt in der Lesung offen.

Pippo Pollina, weitgereister und scharfsinniger Kosmopolit, spielt in seinem Roman mit den verschiedensten Klischees: so schmeckt der Caffè natürlich nur in Italien wirklich gut, während im kalten Deutschland Glühwein getrunken wird. Der Verkehr in Palermo ist chaotisch, während die Autobahnen in der ehemaligen DDR voller Schlaglöcher sind; in den Wohnungen in Italien läuft ständig der Fernseher und alles funktioniert nur über Beziehungen.

Auslöser für
die Emigration

Gesellschaftliche und historische Ereignisse rahmen die Lebensereignisse der beiden Protagonisten ein und machen verständlich, wie die Mafia ihre Macht auf Europa und Deutschland ausweiten konnte. Diese Problematik war Pippo Pollina seit jeher ein wichtiges Anliegen und letztendlich der Auslöser für seine Emigration aus Sizilien.

Das Publikum dankt Pippo Pollina und Thomas Sarbacher mit stehenden Ovationen – scherzhafte Buh-Rufe werden nur laut, als Pollina die Darbietung mit den Worten beschließt: „Es war ja kein Konzert, also gibt es auch keine Zugabe!“, dann aber doch zu dem „beliebtesten deutschen Kindergarten-Instrument“, der Handtrommel, greift und ein virtuoses, schnelles Stück spielt. Der Roman „Der Andere“ ist erschienen beim Verlag Kein & Aber.

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