Wasserburg – Rudolf Finisterre hat sich ins Wasserburger Ganserhaus verliebt, da ist sich Katrin Meindl, die Erste Vorsitzende des Arbeitskreises 68, sicher. „Bisher hat noch kein Künstler so stark in das Haus eingegriffen. Kies im Keller, Skulptur im Lichtschacht. Und selbst vorm Dachboden hast Du nicht Halt gemacht.“
Am Eröffnungsabend drängen viele Kunstbegeisterte auch aus seiner Heimat Stephanskirchen bei Rosenheim ins Ganserhaus. Sie sind neugierig darauf, wie der 56-Jährige aus dem nachhaltigen Ökohofprojekt Landlmühle dem Wasserburger Denkmal Leben einhaucht. Als Architekt Rudolf Finsterwalder ist er oft mit der Forderung „form follows function“ konfrontiert.
Zur Ausstellung
fertig geworden
Zu Deutsch: Die Form folgt der Funktion – in seiner Kunst ist er freier, sein Credo hier: „Form follows nature“. Die Form orientiert sich an der Natur: „Ich will, dass meine Werke wie die Natur leben, sich verändern.“
Gerade noch zur Ausstellung fertig geworden: seine großen Kupferscheiben. Nachdem er Eisen(III)-Chlorid drüber gespritzt hat, lässt er schwarzen Lack darüber fließen: Wo Lack auf Säure trifft, platzt der Lack. Ein lebendiger Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist.
Eine Woche hat der Künstler mit seinem Team das Wasserburger Ganserhaus vom Keller bis in den Dachboden – also über fünf Stockwerke hinweg – mit seiner Handschrift versehen. Das ist nicht nur abwechslungsreich, sondern spannend. Denn der ehemalige Dozent der Münchener Kunstakademie überrascht in jedem Raum mit neuen Techniken. Druck, Skulptur, Zeichnung, Video, Installation, Klanginstallation von Rudolf Finisterres Sohn Luis Centauri, Holzrelief, Ölmalerei oder Fotografie seiner Land Art – er drückt ganz unterschiedlichen Materialien seinen Stempel auf. Die schillernden Handgravuren auf Messing und Kupferplatten kommen leichtfüßig daher, wie Feuerwerke oder Gespinste im Altweibersommer. Die Arbeit daran zehrte an seinen Händen.
Für die filigranen Betonskulpturen verwendete er Büroklammern und Stecknadeln als Armierungseisen. „Als Architekt brauche ich unterschiedlichste Techniken, auch den Modellbau. Das nützt mir jetzt als Künstler.“
Seine eigenwillige Formensprache zieht sich durchs Haus. Sie erinnert an Waben, Skelette: „Ich habe schon als Kind was aus dem Wald mitgebracht und damit gebastelt. Das mache ich heute noch,“ lacht er. Jeden Tag stromert er viele Stunden im Freien mit seinen Hunden herum. Die Kinder, die die Vernissage besuchen, treten dann auch ohne Scheu im Keller auf die groben Kiesel, die der Künstler aufgeschüttet hat. Sie wollen das, was er darauf verstreut hat, näher betrachten. Sind es große Zapfen auf dem Mars oder geheimnisvolle Riesenmuscheln auf einem Meeresgrund? Die organischen Plastiken lassen sich nicht eindeutig zuordnen. Statt etwas abzubilden, schafft Rudolf Finisterre seine eigene künstliche Natur. Und die erobert auch den „lost place“ des Ganserhauses: Den Dachboden, der darauf wartet, bald umsichtig saniert, zum ständigen Ausstellungsraum aufzusteigen. Noch ist das Betreten auf eigene Gefahr.
Der Erfinder der Wasserburger Innenhofführungen, der langjährige Stadtführer Hans Postler, erklimmt als einer der ersten, die Stiege unters Dach. Schließlich ist es eine Premiere, dass der Dachboden des historischen Gebäudes in eine Schau des AK 68 einbezogen ist. Und dem Himmel so nah, scheint ein Ufo gelandet zu sein.
Federleicht
aus Styropor
Die pittoreske schattenwerfende Skulptur hat etwas Entrücktes, wirkt dennoch wie hier verwurzelt. Aber keine Angst, nichts kann durchbrechen, sie ist federleicht – aus Styropor. Sie ist die Vorstufe zu einer Gusseisen-Skulptur „Spongiosa“ und lässt auch den kreativen Schöpfungsprozess des Rudolf Finisterre lebendig werden.