Rosenheim – Die Bewertungen der 5. Symphonie von Peter Tschaikowsky sind extrem konträr: Die einen, wie etwa Theodor W. Adorno, werfen ihr symphonische Effekthascherei, theatralische Wehmütigkeit und aufgedonnerten Kitsch vor, die anderen, wie Tschaikowsky-Biograf Richard Stein, loben die innere Zusammengehörigkeit aller Themen, die zwingende Logik der gesamten Entwicklung und das Festhalten an einer Grundstimmung der nicht weichlich-wehmütigen, sondern herb-stolzen Resignation. Klaus Mann schwärmt in seinem Tschaikowsky-Roman „Symphonie pathétique“, diese Symphonie habe „Schwermut und Glanz und dazwischen eine ganz entrückte Leichtigkeit und am Ende den stolzen und heftigen Überschwang dessen, der sich tapfer gewehrt hat“.
Mit kantabler
Wehmütigkeit
Heiko Mathias Förster und die „Prague Royal Philharmonic“ betonten beim Meisterkonzert im gut gefüllten Kultur- und Kongresszentrum den inneren Zusammenhang, die musikalische Logik der Entwicklung, rührten dabei aber in den Binnensätzen, vor allem in der schön gespielten Hornmelodie im Andante, durchaus auch mit kantabler Wehmütigkeit.
Aber insgesamt blieb Förster – den die Rosenheimer Konzertgänger ja noch aus seiner Zeit als Chef der Münchner Symphoniker kennen – frei von gefühliger Exaltiertheit, blieb oft gemessen strukturiert, sorgte für Glanz durch Transparenz und mittels sangbarer Tempi für innere Logik der Motiventwicklungen. Breit strömte das Andante, wehmütig-graziös tanzte der Walzer und prickelnd sprühten die Geigen-Kaskaden im dritten Satz, bis das Schicksals-Thema wieder hereinbrach. Dieses Thema strahlte im Finale in E-Dur auf, triumphal im stolzen Überschwang, aber nicht niederschmetternd, die Stretta verfehlte ihre Wirkung auf die dann applaudierenden Zuhörer nicht – aber eine Zugabe gab’s nicht.
Mit böhmischer Musik hatte das Konzert begonnen: Die Blumen in „Aus Böhmens Hain und Flur“ von Bedrich Smetana ließ Förster anfangs sanft aufblühen, obwohl in der Partitur Fortissimo steht, dann aber leuchtete das Orchester flirrend und lebendig webend, vor allem auch in den weichen Holzbläsern und den gut eingebundenen Blechbläsern, die nur gegen Ende des zweiten Satzes etwas grell wurden.
In der Mitte des Konzertes stand die junge amerikanische Geigerin Tamaki Kawakubo, obwohl sie ganz uneitel, ernst und fast schüchtern das Podium betrat und auch sonst keine Allüren einer gefeierten Solistin-Diva zeigte. Und so begann sie das Violinkonzert von Tschaikowsky verhalten präludierend, bedeutungsschwer suchend, dem Klang der Musik lauschend und den inneren Kern der jeweiligen Phrase erkundend, mit breitem Strich und etwas körnigem Glanz: ernsthaft und ihre Brillanz nicht eitel ausstellend. Das Orchester begleitete wirklich begleitend, alles in abgeklärter Ruhe von Förster dirigiert, dann aber sich emotional steigernd hin zur Kadenz der Geigerin. Die versetzte damit das Publikum in Hochspannung mit intensiv-leisen Momenten, mit der scheinbar mühelosen Bewältigung der geigerischen Schwierigkeiten, mit sorgfältig gesetzten Portamenti und mit gleißenden Spitzentönen, sodass die Zuhörer in spontanen Zwischenbeifall ausbrachen. In der Canzonetta sang sie mit ihrer Geige und sann dabei dem Singen nach, wie innerlich schluchzend vor so viel Schönheit: reiner Gesang und sonst nichts.
Immer
elegant-beherrscht
Im Finale dann legte sie richtig los, reizte die Geschwindigkeit aus, blieb aber bei aller Furiosität immer elegant-beherrscht, nie virtuos-enthemmt und die kantablen Momente still genießend. Wiens damaliger oft bösartig formulierender Kritiker-Papst Eduard Hanslick hörte bei der Uraufführung im Finale ein lärmendes „russisches Kirchweihfest“ und roch „Fusel“ – bei Tamaka Kawakubo und den Prag Royal Philharmonics hörte man elegante Musik und schmeckte Champagner. Doch auch hier gab’s bei allem begeisterten Beifall keine Zugabe.