Wie klingt der Dachstein?

von Redaktion

Marie-Theres Härtel aus Söllhuben ist ein musikalisches Multi-Talent

Söllhuben – Im Pfarrheim sitzen fünfzehn Streicher und Streicherinnen im Alter von sechs bis 80 Jahren und spielen sich als „Söllhubener Streichorchester“ die Seele aus dem Leib. Seit Oktober letzten Jahres erst musizieren sie zusammen, manche spielen zum ersten Mal überhaupt, aber alle spielen voller Temperament, im gleichen Tempo, mit energisch durchgezogenem Strich und ohne Rücksicht auf vielleicht einmal unreine Klänge.

Bach, Rock
und Volksmusik

Geleitet und immer wieder angefeuert werden sie von Marie-Theres Härtel, die dieses Orchester gegründet hat. Viele Streicherinnen sind ihre Schülerinnen. Auf dem Programm stehen Werke von Vivaldi, Bach, aber auch rockige Stücke und Volksmusik sowie neue Kompositionen auch von Härtel: also Werke von Händel und Härtel.

Wie kam es zur Gründung dieses Orchesters? „Ich finde es wichtig, dass die Geiger ein Ziel haben. Bei Bläsern ist das ja einfacher durch die Blaskapelle, die am Land populärer ist“, sagt Frau Härtel. Und durch Corona sei das Zusammenspiel ja weg gewesen. Jetzt hätten alle wirklich Lust gehabt zu spielen.

Doch wer ist diese Dirigentin, Instrumentallehrerin, Komponistin und überhaupt so musikalisch umtriebige Person? Marie-Theres Härtel ist 1983 in dem kleinen Ort Citoll nördlich von Graz in der Steiermark als Kind von Musikanten geboren. „Beide Eltern haben in einer Tanzmusikgruppe gespielt, sie haben uns schon als Babys mitgenommen und daneben hingelegt, die Mama ist dazwischen zum Stillen“, erinnert sich Frau Härtel vergnügt. Die vielen Instrumente, die zuhause herumgelegen sind, waren ihr Spielzeug. Mit vier Jahren lernte sie Geige, ihr Hauptinstrument aber ist die Bratsche geworden. Mit fünfzehn hat sie damit angefangen: „Meine Geschwister haben alle Geige gelernt, man wird damit verglichen, aber in diesem Alter ist man ein bisschen empfindlich und ich wollte mein Eigenes haben.“

Den Abschluss hat sie in Wien gemacht. Dann hat sie eine Musikgruppe gegründet mit dem Namen „Netnakisum“ – die Umdrehung des Wortes „Musikanten“. Damit ist sie auch schon einmal beim „Hirzinger“ aufgetreten, in der Sendung „Wirtshausmusikanten“ im Bayerischen Fernsehen. „Auch Bach ist ja Tanzmusik“, hat ihre Professorin in Wien festgestellt, als sie die junge Studentin Härtel gehört hatte. Später kamen die „Kusimanten“ dazu, quasi die Kusinen von „Netnakisum“. Sie bestehen aus drei Musikerinnen, einer Sängerin, Härtel und der Cellistin Susanne Paul.

Mit diesen Formationen ist sie durch die ganze Welt gereist, gefördert vom Österreichischen Kulturforum. Dabei haben sie immer versucht, in der Landessprache zu moderieren. Auch zum Beispiel auf Albanisch? Ja, sagt Härtel, im Taxi vom Flughafen habe sie schon gefragt, was heißt das und das und dann auf Albanisch moderiert. „Schlimm war nur Kasachstan, das ist eine Sprache zwischen Russisch und Chinesisch“, erinnert sie sich. Gibt‘s ein besonders beeindruckendes Erlebnis dabei? „In Algerien sind wir nach dem Konzert irgendwohin gefahren worden, da war im Radio plötzlich von „Netnakisum“ die Rede und dann ist Musik von uns gespielt worden: Wir haben alle geweint vor Überwältigung!“ Was hat sie nach Söllhuben verschlagen? Nach Wien war Berlin die nächste Station, da ist die erste Tochter auf die Welt gekommen. Vater ist der Jazz-Saxofonist Florian Trübsbach. Wo haben sie sich kennengelernt? „In Wien, bei einem Doppelkonzert“, sagt Frau Härtel. „Ich hab‘ gewusst, wenn ich einmal Kinder hab, will ich aufs Land. Und Florians Mutter lebt ja in Prien (Dr. Claudia Trübsbach hat die Inselkonzerte im Alten Schloss Herrenchiemsee begründet – Anmerkung der Redaktion), da wollten wir dann hin, auch weil Florian eine Professur für Jazz-Saxofon in München hat und wir außerdem beide gerne bergsteigen und klettern.“ Mittlerweile wuseln drei Kinder in der Wohnung herum.

Wenn man die Homepage von Marie-Theres Härtel liest, wird einem schwindlig: Sie hat schon einundzwanzig CDs eingespielt, bei zehn CDs mitgewirkt quer durch alle Musikarten: „Das ist eigentlich normal als Musikerin“, sagt sie bescheiden. Als Orchestermusikerin ist sie mit sehr vielen Musikern in aller Welt aufgetreten, von Bobby McFerrin bis zu Andreas Gabalier. Was ist sie nun: Volksmusikerin, klassische Bratscherin oder Jazzerin? „I bin Musikerin“, sagt Marie-Theres Härtel lächelnd und in österreichischem Tonfall, „i mog einfach guade Musik – und die gibt’s in jedem Genre.“

Ihre Ausbildung ist klassisch, sie hat aber ganz früh schon eigene Musik geschrieben und arrangiert und die ganzen Jazz-Standards als Straßenmusikerin in Graz gespielt. Ihr Vater hatte zuhause Schallplatten des Jazzgeigers Stéphane Grappelli und der Volksmusiker Rudi Pietsch war der beste Freund ihres Vaters, so haben Jazz und Volksmusik schon früh ihr musikalisches Leben geprägt.

Zurzeit ist ihre Hauptaktivität das Jazz-Duo „Härtel-Trübsbach“. „Mit Jodlern, Weisen und Jazz auf neuen Wegen“ titelte im Sommer letzten Jahres bei einem Konzert dieses Duos das OVB. „Und jetzt bin ich bei einem großen Drei-Jahres-Projekt über den Dachstein dabei.“ Es heißt „Signal am Dachstein“, setzt sich in künstlerischer Weise mit dem Verhältnis von Mensch und Natur auseinander und rückt den Gletscher des Dachsteins ins Zentrum der Wahrnehmung. Dabei wirken Fotografen, Bergsteiger und Künstler mit, die einen engen Bezug zum Dachstein haben. Härtel ist die Musikerin dabei.

Musik-Partnerschaft und Seilschaft

Es ist vielleicht die Antwort auf die Frage: Wie „klingt“ der Dachstein? Härtel kennt ja alle Musikformen dieser Gegend, die Ausseer Jodler und das „Paschen“, also das gemeinsame rhythmische Klatschen.

Und Musik und Bergsteigen sind eh ihre größten Leidenschaften – die sie mit Florian Trübsbach teilt: „Wir sind nicht nur eine Musik-Partnerschaft, sondern auch eine Seilschaft – und wir singen immer beim Bergsteigen.“ Eine bessere, umtriebigere und mitreißendere Leiterin hätte das „Söllhubener Streichorchester“ nicht bekommen können.

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