Minutiöser Wechsel von Licht und plötzlicher Dunkelheit

von Redaktion

Nach „Der Mann ohne Eigenschaften“ bringt „Regie-als-Faktor“ ein Prosawerk von Violette Leduc auf die Bühne

Rosenheim – Mit einem Theater, das einen modischen Mainstream bedient, haben Valerie Kiendl und Dominik Frank, das ideenreiche Regieteam, nichts am Hut. „Regie-als-Faktor“ ist immer wieder für Überraschungen gut. Nach den 20 Folgen, die sich an Robert Musils Riesenroman „Der Mann ohne Eigenschaften“ orientierten, haben Kiendl und Frank wieder ein Prosawerk als Grundlage ihres neuen Projekts gewählt: „Therese und Isabelle“ von Violette Leduc (1907-1972). Leduc wurde von Sartre und der Beauvoir nachdrücklich gefördert und dem Nobel-Verlag Gallimard empfohlen. Der lehnte entschieden ab: „Eine Veröffentlichung in diesem Zustand würde einen Skandal auslösen.“

Warum? Nun, diese brisante Mischung aus Feminismus und lesbischer Liebe war in den Fünfzigern noch eine heikle Angelegenheit – selbst in Frankreich. Leducs männliches Pendant, Jean Genet, auch er ein Protegé Sartres, dagegen wurde berühmt…

Violette Leduc wurde als die uneheliche Tochter eines Dienstmädchens geboren; der Vater, ihr Arbeitgeber, hat seine Tochter nie anerkannt. Die vielfältigen seelischen Verletzungen in ihrer Jugend verarbeite die Schriftstellerin in autobiografischen Texten.

Therese und Isabelle („Liebe ist eine anstrengende Erfindung“) lernen sich im Internat kennen, sie sind minderjährig, wie sie der dubiosen Zimmervermieterin gestehen müssen. Ihr schulischer Alltag ist streng kontrolliert, und so suchen sie verzweifelt nach Freiräumen – das sind die Nächte oder eben die Absteige.

„,Wir kommen wegen eines Zimmers.‘ Frau Algazine blickte uns an und spielte mit ihrer Halskette. ‚Wir möchten es für ungefähr eine Stunde mieten,‘ sagte Isabelle. ‚Ich verstehe‘, war Frau Algazins Antwort.“

Trivial? Pornografisch? Wo steckte das Problem für die Männer von Gallimard? Aus heutiger Sicht eine vollends gegenstandslose Frage.

Oder besteht gar Kitschverdacht, wenn Therese in schwärmerischen Metaphern schwelgt: „Mattigkeit, die einsickert, Ritzen, durch die die Lust hereinbricht, Sümpfe voller Tücke… Flieder verströmte Süße, der Frühling bereitet mir das Totenlager…“ Die sensible, grobe Effekte meidende Regie sowie die beiden Protagonistinnen Laura Kupzog (Therese) und Giulia Fuchs (Isabelle) umschifften konsequent alle Klippen einer möglichen Peinlichkeit.

Im kleinen Saal der Vetternwirtschaft, schwarz abgedunkelt, saßen die Zuschauer im Viereck an den Wänden. Keine Requisiten. Nur ein großes Tuch mit der Nachbildung von Courbets berühmt-berüchtigtem Gemälde „L’Origine du Monde“ markierte wie ein Teppich die Spielfläche.

Der minutiöse Wechsel von Licht und plötzlicher Dunkelheit, das Leuchten mit einer bläulichen Taschenlampe, als würden begehrliche Augen die Freundin abtasten, schufen eine abstrakte Atmosphäre. Dies wurde noch verstärkt durch die extra komponierte minimalistische Musik von Felix Köppe.

Laura Kupzog und Giulia Fuchs hatten die Intentionen der Regie verinnerlicht. Ihre Bewegungen, choreografisch ausgefeilt, sowie ihr Sprechen beschworen die ganze Gefühlsskala von lustvoller Freude bis zur Verzweiflung. Aber stilisiert, ritualisiert und dadurch glaubhaft und zwingend – und spannungsgeladen! Das Publikum erlebte gebannt und mit großer Anteilnahme ein exquisites Kammerspiel. Zum Schluss entlud sich heftiger Beifall für die großartigen Schauspielerinnen und die Regie.

„‘Werden wir uns niemals verlassen?‘ – ‚Niemals.‘ – Einen Monat später holte mich meine Mutter zurück. Ich habe Isabelle nie wiedergesehen.“ Eine weitere Aufführung folgt am 17. März.

Walther Prokop

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