Stephanskirchen – Das Miterleben einer der großen Passionen Johann Sebastian Bachs ist vielerorts zum jährlich wiederkehrenden Ritual geworden. Der Ludwig-Thoma-Chor aus Prien unter seinem Gründer und Dirigenten Sebastian Weyerer nahm sich bei seinem Konzert in der St. Rupertus-Kirche in Stephanskirchen bei Hemhof allerdings nicht den barocken Komponisten vor, sondern führte die Leidensgeschichte auf Bayrisch auf. Das Passionsoratorium, ein Gemeinschaftswerk des Salzburger Komponisten Wilhelm Keller und des früheren BR-Redakteurs Walter Diehl, lehnt sich im Text an die Johannes-Passion an, aber setzt sich auch eng mit der Carl Orffschen Tonsprache, alpenländischer Musiktradition und früher Kirchenmusik auseinander. Zur Einstimmung gab es von Cesar Bresgen das „O Mensch bedenk“, Trost versprach das „O Traurigkeit, o Herzeleid“ aus dem Salzburger Land, und spürbare Verzweiflung sendete das „Popule Meus“ von Ludovico da Vittoria aus. Dazwischen stimmten Alexander Mangstl (Harfe) sowie das Chiemgauer Saitenensemble Brigitte Buckl (Zither), Heidi Martl (Kontrabass), Heidi Ilgenfritz (Hackbrett) und Sabine Werner (Gitarre) meditative Weisen an. Das „Bleibet hier und wachet mit mir“, bei dem sich Gedanken mit dem Taizé-Lied „Bleibet hier und wachet mit mir“ für vierstimmigen Chor und Publikum abwechselten, bildete den Auftakt für das Passionsoratorium. Was für ein forderndes Werk für Chor, Solisten und Instrumentalgruppe. Mal sind es meditative Gesänge, dann gibt der Ludwig-Thoma-Chor als Sprechchor die aufgebrachte Volksmenge, unterstützt durch ein reich besetztes Schlagwerk (Harald Schulz, Valentin Holzner und Bernhard Henke). Aber auch Oboe (Claudia Judex), Peter Gasser (Trompete), Birgit Henke (Posaune), Harfe und das Chiemgauer Saitenensemble sind mächtig gefordert, mal im pp, dann im f, mal drängend, dann wieder im largo. Nicht zu vergessen die Solisten, die immer wieder auf das Geschehen einwirken: Da ist der Evangelist Rupert Schaeffer, der bildhaft von der Kanzel herab die Szenen Abendmahl, Ölberg, Richthaus und Golgatha besingt. Da mimt der großartig agierende Franz Meyer den Kaiphas: „Er hetzt die Leit auf“, Judas (Wolfgang Bachleitner) wird vom Verräter und zum reuigen Sünder, Petrus (Franz Auer), der leugnet, Jesus zu kennen, und Pilatus (Georg Gilgenrainer), der sich erst einmal anhören will, was Jesus getan haben soll. Dazwischen zetert das Volk: „Zeit is, dass wos gschied.“
Selbst am Kreuz wird Jesus vom Volk (herausragend hierbei Monika Kinzelmann und Alois Fürmaier) in gerappter Version beschimpft: „Nix is er, nix is er, jetzt ko er nix anders als sterb’n,“ und fordert: „Steig oba vom Kreiz.“ Jesus (ideale Besetzung Tenor Markus Kinzelmann) betet währenddessen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Schon trauern unter dem Kreuz mit schönen Singstimmen Maria (Sopran Agnes Staber) und Johannes (Tenor Alois Loferer), da schildert der Chor lautstark und eindrücklich, wie es im Tempel den Vorhang zerreißt, ehe das Ganze in einem meditativen Gesang endet: „Bitt für uns… führ uns in deine Seligkeit.“ Vornedran steht der Dirigent.
Vollkommen souverän und unprätentiös leitet Sebastian Weyerer mit wenigen Handbewegungen, Chor, Solisten und Instrumentalensemble an. Chapeau allen Beteiligten! Die Anlehnung an die Orffsche Musik und die bayrischen Worte im Passionsoratorium „Oana geht um im Land“ – das ging unter die Haut. Elisabeth Kirchner