Klare Motive und improvisatorische Passagen

von Redaktion

Das Quartett „Muse“ gastiert bei „Jazz am Roseneck“ in Prien – Ungewöhnliche Besetzung mit Harfe

Prien – Was ist Schönheit? Am Ende dieses außergewöhnlichen Konzertes wurde diese Frage dann tatsächlich gestellt. Mit ihr kam etwas zum Ausdruck, was das Konzert vom ersten leisen Beginn mit Harfentönen bis zu seinem Ausklang in einem nahezu überirdischen Obertongesangduo bestimmte.

Das Ensemble mit dem vielsagenden Namen „Muse“ wurde von dem mehrfach ausgezeichneten Jazzposaunisten Nils Wogram gegründet und stellt das neueste Projekt dieses gleichermaßen von Entdeckerfreude wie von künstlerischer Integrität geprägten Musikers dar. Zusammen mit der Harfenistin Kathrin Pechlof, seinem langjährigen musikalischen Weggefährten Hayden Chisholm am Altsaxofon sowie dem Bratschisten Gareth Lubbe formierte er ein Quartett, welches als Jazzquartett zu bezeichnen das Thema dieser Musik verfehlen würde.

Schon die vier Notenständer mit aufgeschlagenen Noten samt Stühlen zu Beginn des Konzertes im ausverkauften Konzertsaal ließen eher ein klassisches Konzert erwarten, aber auch dies entsprach, schon wegen des vielen Raums für improvisatorische Passagen, nicht ganz der Wahrheit, welche am Ende des Konzertes sich in eine Vermutung der vielen begeisterten Zuhörer verwandelte: Hier wurde tatsächlich musikalisches Neuland betreten. Bei ihrer Ansage zu Beginn des Konzertes hatte es die Veranstalterin Birgit Eßlinger-Hirner auf den Punkt gebracht: Hier bestimmt die Harfe den Klang. Und damit ist nicht nur die Klangfarbe gemeint, sondern auch die eher verhaltene Lautstärke dieses größten unter den transportablen Instrumenten, welches Kathrin Pechlof aus dem Nischendasein eines bloß dekorativen Arpeggios befreit.

Und es ist dann die Spieltechnik von Nils Wogram, welche den an sich mächtigen Klang der Posaune entfaltet, ohne die zarten Töne der Harfe zuzudecken. Und dann der unverwechselbare, bisweilen an Paul Desmond erinnernde Klang des Altsaxofons vom aus Neuseeland stammenden Hayden Chisholm, der sich dann wieder, sowohl im gemeinsamen Obertongesang, als auch in den instrumentalen Duopassagen mit dem aus Südafrika stammenden Bratschisten Gareth Lubbe verbindet.

Dass das Ganze nicht in selbstgefällige Klangschönheit ausartet, dafür sorgen die im eigentlichen Wortsinn klugen, weil nicht auftrumpfenden und einschränkenden, sondern ermöglichenden Kompositionen von Nils Wogram. Wie selten jemand, fördert er mit seinen Stücken – samt Zugabe waren es elf an der Zahl – die musikalische Individualität seiner Mitmusiker und gibt dem gleichzeitig eine Form.

So werden die Stücke von klaren Motiven geprägt, die ihrerseits Übergänge in improvisatorische Passagen erlauben. Und auch sind es die Kompositionen, die verhindern, in ausgetretenen Klangbildern zu baden. Gerade dieser konzeptuelle Moment ermöglicht die Öffnung zu bisweilen kühnen Passagen der Mikrotonalität, welche dem Ganzen eine gewisse Rauigkeit, aber auch gesteigerte Farbigkeit verleihen.

Es entsteht so eine Kammermusik ganz neuer Art, Kammermusik auch schon deshalb, weil diese Musik am besten unverstärkt klingt und relativ kleine, akustisch gut geeignete Räume braucht, wie es der ehemalige Tennenraum im Roseneck in Prien einer ist. Solche Räume böten dann auch den nötigen Platz für eine Entwicklung, die unter dem Radarschirm des kommerziellen Musikbetriebs unbemerkt geblieben ist.

Eine Entwicklung des Zusammenwachsens von Neuer Musik, Improvisation und Jazz zu einer offenen experimentellen Szene, die inklusiv ist und die Aufsplitterung des Musiklebens in immer weitere Spezialisierung unterläuft. Emmerich Hörmann

Artikel 6 von 11