Wasserburg – Mit dem Satz „Kleider machen Leute“ eröffnet der Künstler Toni Wirthmüller seine Vernissage im Ganserhaus. Der 62-Jährige trägt einen schwarzen Anzug, den er mit dem Rad einer Sämaschine weiß bedruckt hat, dazu neon-rote Sneakers. Er macht aus Kleidern Kunst und hat immer rote Farbe dabei.
Die Erste Vorsitzende des AK 68, Katrin Meindl, entdeckte den Berliner Künstler auf Instagram. Aus der Nachricht: „Ich find deine Kunst toll“ wurde jetzt die Ausstellung „Kernzone/ ROT #Urstrom“. Sie lässt sich auch Wasserburgs Zweiter Bürgermeister, Werner Gartner, nicht entgehen.
Der Vater
war Müller
Der „Urstrom“ ist für den Künstler dabei der Inn. Toni Wirtmüller: „Ich wohnte lange in der Innstraße in Berlin, heute in der Innsbrucker Straße, stelle oft in Innstädten wie Simbach, Passau oder Innsbruck aus. Schon als Kind habe ich mir vorgestellt, als ich in unseren Mühlbach gespukt habe, dass die Spuke mal über die Flüsse ins Schwarze Meer fließt.“ Kreisläufe beschäftigen ihn von klein auf. Er ist schließlich ein echter Müllersohn aus Odelzhausen. 1982 ging er zum Malereistudium nach Berlin, blieb dort. Doch findet sich der eine oder andere Leinensack aus Familienbeständen in seiner Kunst wieder, am liebsten mit der Farbe Rot in allen Schattierungen überschüttet. „Zwei Zentner-Säcke hat mein Vater, der Müllermeister, Mitte der 70er- Jahre gehoben“, erinnert er sich an Anton Wirthmüller senior. Von Hand flickten schon die Generationen davor die alten Säcke. Und diese nachhaltige Familientradition führt er fort: Er näht zusammen, was seine alte Nähmaschine schafft.
Säcke kombiniert er mit anderen Beutestücken aus seinem Leben. Stoff für seine Kunst liefern auch geschenkte Klamotten seiner Lieben. Dessous von Freundinnen, Strampler vom Enkelkind oder Hotelschlappen, das und viel mehr gerät in seinen künstlerischen Stoffwechsel. Daraus entstehen abstrakte Wandbilder mit interessanten Strukturen. Oder er zieht gleich ganze Räume an, hüllt sie in magisches Rot.
Seine Liebe für diese Farbe begann vor vierzig Jahren mit einer Performance. Er selbst war rot bemalt und komplett in Stoff gewickelt. Er musste sich wie aus einem Kokon herauswinden, ein Messer zu Hilfe nehmen.
Zwölf Meter
langes Relikt
Weil das Ganserhaus im hinteren Teil einen hohen Raum bietet, konnte der Künstler das zwölf Meter lange Relikt dieser Aktion erstmalig ausstellen. Die aufgeschlitzte Stoffbahn mit seinen Körperabdrücken wie von geronnenem Blut weckt Assoziationen zu einem Tatort. Heiter stimmt dagegen der spektakuläre rote Raum, der im ersten Stock einen regelrechten Sog entwickelt. Toni Wirthmüller hatte die Rauminstallation ursprünglich für eine Kirche konzipiert, doch Corona vereitelte die Ausstellung. Im Corbusier-Haus in Berlin könnte er dann die erste Variante seiner Kernzone/Rot präsentieren. „Damals ging es ums Überleben. Das Rot ist ein Angebot. Es ist ein lebendiges Bild, verändert sich jedes Mal, je nachdem, wo ich es ausstelle. Meine Herkunft im katholischen Bayern spielt eine Rolle, Reliquien gibt es nur hier“, kommentiert er das rote Arrangement. Katrin Meindl will am Eröffnungsabend mehr über sein bayerisches Atelier erfahren. Aus der elterlichen Mühle hat Tonis Bruder einen Biohof gemacht.
Dem Künstlerbruder stellt er großzügig Atelierräume zur Verfügung, damit dieser auch in Bayern arbeiten kann. Als der dort auf Familienfotos stößt und ein rostiges Rad der Sämaschine findet, druckt er beides auf farbige Stoffe. So holt Toni Wirthmüller seine ganze Großfamilie mit ins Wasserburger Ganserhaus.