Broadway-Luft mit Witz und Ironie

von Redaktion

Musical „Sweet Charity“ feiert im Tam Ost eine gelungene Premiere

Rosenheim – Was haben Karl Valentin und Sweet Charity gemeinsam? Einmal den Namen Valentine, und beide halten dafür, der Mensch sei gut. Doch der listige Karl differenziert: „Aber d’Leut san schlecht!“

Dass Charity Hope Valentine, so der volle Name der Titelheldin, diese Weisheit außer Acht lässt, verhindert, dass das Musical einem plakativen Happy End zusteuert. Witz, Ironie und Persiflage sind Trumpf, oder, wie die Damen des Animier-Tanz-Etablissements stets beteuern: „Spaß, Lust, Freude!“ Aber diese drei schönen Dinge gelten weniger für die gebeutelte Charity und ihre lustlosen Kolleginnen, diesen Spaß hat das Publikum, welches die drei Stunden Spieldauer in amüsierter Gespanntheit genussvoll erlebt.

Großes Stück
auf kleiner Bühne

Ein üppiges Broadway-Stück (Plot: Neil Simon; Musik: Cy Coleman) auf die Verhältnisse eines kleinen Amateurtheaters zurechtzustutzen – das war die Herausforderung für Regisseur Martin Schönacher, den Choreografen Maximilian Neumayer und Judith Blauth, die die Einstudierung der Songs betreut hatte.

Das Regieteam wusste aus der Not der kleinen Besetzung eine Tugend zu machen, denn der von Episode zu Episode linear verlaufende rote Faden der Handlung wurde durch die Reduzierung geschärft und gestrafft. Trotz genügend Glanz und Glamour – die Glitzerkostüme sind wahre Hingucker – rückten wie im Kammerspiel die einzelnen Charaktere, selbst kleine Details in den Fokus. Als professionelle Hauptdarstellerin war Judith Blauth Dreh- und Angelpunkt des kunstvoll wirbelnden Balletts, als Charity die Seele in einer seelenlosen Gesellschaft.

Die hintergründigen Dialoge, die zum Lachen reizten, sind punktgenaue Pointen und keine bloßen Witzchen. Die Doppelbedeutung des Wortes „verlassen“ zeigte die tragische Situation Charitys: Sie glaubte sich auf die Männer verlassen zu können – doch wurde sie selbst wieder und wieder verlassen. Ihre beste Freundin, herrlich handfest und pragmatisch (Daniela Mayer), sagt ihr offen und ehrlich ins Gesicht „Blöde Kuh“! Und auch die kesse, liebenswürdig schnippische Kollegin (Nicole Regina Reißmeier) hält Charity für einen hoffnungslosen Fall. Die Männer haben wenig zu sagen; der schweigsame Macho (Michael Link) ist sichtlich nicht an inneren Werten interessiert. Tanzbuden-Besitzer Hermann, von den Mädels liebevoll Sklaventreiber tituliert (Oliver Majer Trendel), sang immerhin, um Charity zur vermeintlichen Hochzeit zu gratulieren. Jetzt betritt Mulitalent Frank Magener die Bühne, die er selbst ingeniös gestaltet hatte, um sich als Steuerberater Oscar in Charity zu verlieben. Leider ist er, an Woody Allen erinnernd, ein hochgradiger Neurotiker. Das lässt nichts Gutes ahnen.

Aber wir müssen ausholen: Frank Magener ist nicht nur der Liebhaber mit ernsten Absichten, er verkörpert alle jene Männer, die Sweet Charity das Leben schwer machen. Zunächst schubst er als Charly seine Freundin in einen Teich, um sich dann mit der „geretteten“ Handtasche inklusive Money zu verkrümeln. Ein Kabinettstück besonderer Art: Magener brilliert als italienischer Filmstar Vittorio, nimmt Charity mit in seine Wohnung, nachdem er sich mit Freundin Ursula (Mirjam Bertagnolli) verkracht hatte. Generös beschenkt der Star seinen Gast mit Hut und Stock, Requisiten aus seinen Filmen. Charity ist überglücklich über diese noble Geste, muss dann aber die Nacht hindurch hinterm Paravent ausharren. Grund: Ursula kommt zurück, sie und ihr Lover versöhnen sich und beide genießen das Glück, das sich Charity erhofft hatte.

Als Oscar gerät dann Frank Magener mit Charity in so groteske Situationen, dass seine psychischen Turbulenzen unweigerlich zum Ausbruch kommen. Zwar liebt er seine Braut und nennt sie eine „poetische Jungfrau“, aber warum und wieso kein Honeymoon winkt, das muss man selbst gesehen haben! Im Grunde sind alle Darsteller Multitalente: Gesang, Tanz und Schauspiel fordern äußerste Disziplin, Können und Motivation. Begeisternd die Tanzszenen mit Anja Benedikt, Stephanie Wiese, Anne Frick, Mirjam Bertagnolli, Michael Link, sowie Oliver Majer Trendel, Daniela Mayer und Nicole Regine Reißmeier. Eine köstliche Ensembleleistung bedeutete der bunt-burleske „Gottesdienst“ einer ziemlich durchgeknallten Sekte. Man verspricht ekstatisch, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden. Mit Vorbestraften hatte Sweet Charity allerdings nichts am Hut.

Die Koordination der Gesangseinlagen mit der Playback-Konserve funktionierte reibungslos und die Stimmen der Darsteller durften sich ohne Wenn und Aber hören lassen.

Facettenreich
und wandlungsfähig

Überwältigend, wie Judith Blauth die Figur dieses warmherzigen Animier-Girls mit Leben erfüllt und deren Naivität und kindlich wirkende Unbekümmertheit suggestiv zum Ausdruck bringt. Ihre facettenreiche, wandlungsfähige Stimme, gesprochen wie gesungen, gewährt Einblicke in die Seele einer unerschütterlich an das Gute glaubenden jungen Frau, welche die Hoffnung auf bessere Zeiten nie aufgibt.

Wenngleich der New Yorker Hochzeiter Oscar ausbüchst, wie wär’s mit einem Rosenheimer „Oscar“ für die beste Hauptdarstellerin!? Das Wagnis, ein Musical auf die Bühne des Tam Ost zu stemmen, ist ein – gelungenes- Experiment, das munter in Serie gehen darf.

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