Rosenheim – Was macht man eigentlich als junger Künstler, wenn man sein Studium beendet hat, mit Energie durchstarten will und dann von einer Pandemie ausgebremst wird ? So geschah es Vincent Kern, Jahrgang 1989 und Absolvent der Münchner Kunstakademie aus dem Jahr 2017. Er war Teilnehmer unter anderem bei Professorin Anke Doberauer, die im Kunstverein Rosenheim ausgestellt hatte, und erhielt nun selbst Jahre nach Studienende die Chance einer ersten großen Einzelausstellung.
Förderung
für Katalog
Und sogar noch die Gunst einer besonderen Förderung, denn der Berufsverband der Bildenden Künstler und die LfA Förderbank Bayern haben Gelder für einen eigenen Katalog bewilligt, der dann im Juni der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Förderung eines jungen Künstlers also – auch hierfür ist die Infrastruktur eines Kunstvereins wie dem in Rosenheim höchst hilfreich. Und es lohnt ein Besuch in der Ausstellung „Tokamak“. Diesmal keine Objekte mitten im Raum, keine spielerischen Kleinformate, sondern klar präsentierte großformatige Gemälde. In Kerns Bildern bewegt sich etwas, sie erzählen Geschichten – doch nicht plakativ, sondern mit Deutungsspielräumen und die Assoziationen anregend, mit einer besonderen Kombination aus vermeintlich bekannten Mustern und Motiven, dann wieder fremd und verstörend. Gleich am Eingang „Manipulator“ (Öl auf Leinwand 170×155) – sind das Politiker am Verhandlungstisch? Das Gemälde „Cave Canem“ zeigt Wolfsmotive und einen historischen Turm – Assoziationen an das alte Rom liegen nahe, wurden doch Romulus und Remus von der Wölfin gesäugt. In geradezu dystopischem Kontrast dazu „Die Tafel verdorben“ und „Auf Achse“, beide in Öl auf Leinwand und in selber Größe mit 160 auf 125: Die Szenerie des ersten Bilds könnte an einem schwefligen Salzsee entsprungen sein, die des in Grautönen gehaltenen zweiten erinnert mit kriegerischen Gestalten und einem Reifen an die Welt von „Mad Max“, endzeitlich, gruslig. Kern verfremdet seine Motive auf eigene Art: Der Adler der römischen Standarten – also auch hier ein martialischer Hintergrund – bildet das Zentrum von „Ich steh im Bett“ (Mischtechnik auf Leinwand, 140 auf 120), das Wappentier trägt aber einen Ring und scheint festgekettet zu sein. Italien begegnet dem Betrachter in der Ausstellung immer wieder. Das Doppelbild „Cis & Transalpina“ (Mischtechnik auf Leinwand, 170 auf 280), zeigt vertikale und kubistische Kleinstrukturen, hier scheint viel durcheinandergewürfelt worden zu sein – eine Erinnerung an die Erdbebensituation in Mittelitalien vor wenigen Jahren? Kern ist viel in Italien gereist und er kann auch die kleine Form, wie seine feinen Tuschezeichnungen „Biglietteria“ verraten, es sind liebevoll gezeichnete Miniaturen quasi als Comicstrip. Erotische Damen kommen darin vor, römische Ruinen, und viele weitere italienische Ingredienzen – eine Einladung zum längeren, genauen Hinschauen. Reizvoll sind auch die in Szene gesetzten Hinterlassenschaften von vermutlichen – so klar ist das nicht – Bacchanalen oder Orgien. Körperteile sind zu sehen, sie liegen auf dem Boden, ein Glas steht auf einer Art Tisch oder Tablett. Auch hier bleibt es der Fantasie überlassen, das Ganze mit einer Geschichte zu ergänzen.
„Sylphion“ heißt der Titel des Bildes (Mischtechnik auf Leinwand, 160 auf 140), die frühere „Gewürze“-Ausstellung im Lokschuppen hatte dem römischen Wundergetränk einen ebenso informativen wie rätselhaften Bereich gewidmet, anmutig wurde das Thema vertont von Quadro Nuevo.
Motive der
klassischen Moderne
Kern widmet sich also in seiner ersten großen eigenen Ausstellung mit Malereitechniken und Motiven der klassischen Moderne den Andeutungen von Handlung, es sind jeweils Ausschnitte aus einem größeren Ganzen, dessen Deutung reizvollerweise dem individuellen Gespür obliegt.