Prien/Chiemgau – Ein einziger See – aber ausgestattet mit zahlreichen Aussprachevarianten und mit mehreren sich widersprechenden Erklärungen seines Namens: der Chiemsee. Im Chiemgau gibt es mindestens zwei unterschiedliche Ausspracheweisen, die Ewald Mayer, Angestellter der Gemeinde Chieming, folgendermaßen beschreibt: „Am südöstlichen Ufer hoaßt inser Sä Keamsä, am nordwestlichen Ufer Kimsä.“ Der Ort und die Gemeinde Chieming lauten „Keaming“, die Region aber eher „Kimgau“ als „Keamgau“.
Sind das rein dialektale Aussprachevarianten? Die standardsprachliche Lautung von „Chiemsee“ hat ein langes /î/; nimmt sie aber auch Rücksicht auf die sprachliche und kulturelle Herkunft des Bestimmungswortes „Chiem“? Eines vorab: Anders als bei den Sommerfrischlern der 1950er-Jahre hört man heutzutage kaum mehr die Aussprachen „Schiemsee“ und „Tschiemsee“. Wer in früheren Zeiten die „Chemie“ als „Schemie“ äußerte, sagte ganz unbefangen auch „Schiemsee“. Tatsächlich ist im Falle von „Chiem“, anders als beim Begriff „Chemie“, die Schreibung mit <ch> als ein Relikt der hochdeutschen Lautverschiebung, bei der /k/ zu /ch/ verschoben wurde – man vergleiche niederdeutsch „maken“ mit hochdeutsch „machen“ –, zu erkennen.
Dieser neu entstandene ch-Laut wurde jedoch im hochdeutschen Sprachgebiet, zu dem das Bairische gehört, am Wortanfang wieder zur Aussprache mit /k/ zurückentwickelt, ohne dies aber in der Schrift auszudrücken.
Aber zurück zu „Kimsä“ versus „Keamsä“. Aus dem Doppellaut /i-e/ vor Nasal (n, ng oder m) entstand im Bairischen regulär der Doppellaut /e-a/; daher heißt es im Dialekt „Kea(n)berg“ – das n hört man kaum – statt „Kienberg“ und somit auch „Keaming“ und „Keamsä“.
Der Schreibung und Lautung mit <ie>, die schon seit der althochdeutschen Epoche (750 bis 1050) existiert, liegt ein lang gesprochenes /ê/ zugrunde, das Fachleute als e2 bezeichnen. Unser Adverb „hier“ etwa basiert auf „hêr“. Im Sprachgebrauch der hier ebenfalls noch ansässigen Romanen jedoch konnte das „e zwei“ zu kurzem /i/ mutieren. Resultat: „Kimseo“.
Laut dem „Lexikon bayerischer Ortsnamen“ von Wolf-Armin Freiherr von Reitzenstein liegt dem Bestimmungswort Chiem „wohl der Personenname Chiemo zugrunde“, der wiederum auf dem keltischen Namen Chemus basiere. Manchmal wird dieser Chiemo mit einem Grafen in Verbindung gebracht, für den es allerdings keine historischen Belege gibt.
Der Sprachwissenschaftler Theo Vennemann geht dagegen von einer romanischen Wortwurzel „kem“ aus, die von den Germanen zuerst zu „kêm“ (e2!), dann zu „kiem“ verändert wurde. Dem Begriff liege die Bedeutung „Sumpflandschaft“ zugrunde, was für die Chiemsee-Uferlandschaft damals wie heute gut passen würde.
Aufhorchen lässt der Hinweis des Namenforschers Adolf Bach, wonach im Germanischen „alte Römerstraßen auch Kiem“ heißen würden. Demnach wäre der Chiemsee nach seiner Lage an der Römerstraße („Via Julia“) von Salzburg („Juvavum“) nach Augsburg („Augusta Vindelicum“) benannt.
Tatsächlich gibt es ein vulgärlateinisches Wort „camminus“ = der Weg, das von keltisch „cammino“ in die lateinische Volkssprache übernommen wurde.
Chieming, im Jahre 804 (Kopie des 12. Jahrhunderts) Chiemingen, wäre demnach ein „Ort an der Römerstraße“, der Chiemsee, 790 (Kopie des 12. Jahrhunderts) Chiminsaeo, der „See beim Ort an der Römerstraße“. Spannend, oder? armin höfer