Wasserburg – „Uwe fehlt“: Mit zwei Worten eröffnete der Schauspieler Udo Samel am Freitag die besonderen Theatertage 2023. Sein Freund und Kollege, Uwe Bertram, leitete 20 Jahre das Wasserburger Theater, machte es zur festen Instanz in der Privattheaterszene in Bayern. Im November 2022 starb er.
Der „Schock“ setzte neue Kräfte frei: Ein zehnköpfiges Team übernahm das Theater. Künstlerisch federführend sind Constanze Dürmeier, Nik Mayr und Annett Segerer. Die Tradition der Wasserburger Theatertage aufgeben, den Höhepunkt aus dem Spielplan streichen? Das war keine Option. „Das Publikum fiebert darauf hin. ‚Macht weiter‘, hieß es. Viele nehmen sich extra zehn Tage Urlaub, um keine Vorstellung zu verpassen“, freut sich Constanze Dürmeier.
Geglücktes
Bravourstück
Mit ihren Theatertagen glückte ihnen ein Bravourstück: Sie riefen „gute alte Bekannte“ an, die den Weg des Theaters prägten, inzwischen längst an anderen Häusern tätig sind. Sie baten sie, ihre aktuellen Inszenierungen in Gedenken an den früheren Kollegen zum Festival mitzubringen.
Die treueste Seele ist dabei Udo Samel. Er eröffnete bisher jedes Jahr die Theatertage. Der 69-Jährige spielte mit Bertram schon am Residenztheater in München und bei den Salzburger Festspielen. Er überzeugt stimmgewaltig in einer literarisch-musikalischen Collage „Und ich wandte mich um“ mit Orpheus-Motiven. Auf der Reise ins Totenreich und beim Scheitern Orpheus, seine geliebte Eurydike zurückzuholen, begleiten ihn musikalisch Markus Becker am Klavier und Oliver Wille mit der Geige. Letzterer entlockt seinem Instrument geschickt unheimlich anmutende Sphärenklänge. Fiepende, klopfende Kratzgeräusche, wie ein Wehklagen Orpheus.
Ein abwechslungsreicher Bogen spannt sich von Ingeborg Bachmann über Maurice Ravel bis hin zum zeitgenössischen Komponisten Manfred Trojahn und seiner Interpretation von Rainer Maria Rilkes „Sonette an Orpheus“. Schließlich gilt der begnadete Sänger Orpheus als die zum Scheitern verurteilte Künstlerfigur par excellence.
Kein Wunder, dass das Trio noch weitere Texte und Stücke passend zum Mythos zusammengetragen hat. Orpheus Gesang überzeugte die Götter. Doch die Chance, Eurydike von den Toten auferstehen zu lassen, vermasselt er sich selbst durch seinen Blick zurück zu ihr. Den hatten ihm die Götter ausdrücklich auf dem Weg nach oben untersagt. Kein leichter Stoff, doch das Wasserburger Publikum bedankte sich für diesen Auftaktabend der Theatertage mit lang anhaltendem Beifall im Stehen.
Der nächste Abend war dann, wie Annett Segerer glücklich feststellte, „restlos ausverkauft“. Vielleicht kennen den Schauspieler und Regisseur Konstantin Moreth etliche Einheimische noch von seiner „Quijote, c’est moi“-Inszenierung auf dem Dach des Parkhauses am Kellerberg 2008.
Der gute alte Bekannte kommt mit bekannten Mimen wie Michael A. Grimm. Die tiefgründige Groteske „Adams Äpfel“ traf den Geschmack des Publikums, auch wenn ihm an manchen Stellen das Lachen im Hals stecken blieb. Es ist eine moderne Hiobs-Geschichte nach dem Erfolgsfilm von Anders Thomas Jensen.
Pfarrer Ivan ist dieser Hiob, stimmig verkörpert vom Schauspieler Stefan Murr. Trotz vieler eigener Schicksalsschläge hält er an der Lebensaufgabe fest, Kriminelle zu läutern, etwa den Neonazi Adam. Markus Brandl stellt ihn meisterlich dar, auch wenn sein Hitlerbärtchen und seine Springerstiefel etwas zu stereotyp anmuten.
Idylle mit
Apfelkuchen
Adam soll Apfelkuchen backen, will aber nur eins: Ivans Gottvertrauen erschüttern. Keinen Moment langweilig, überrascht die temporeich inszenierte Farce mit seinem Happy End: Aus Adam wird ein apfelkuchenbackender, barfüßiger, bester Freund des Pfarrers.
Apfelkuchen stehen bei diesen Theatertagen anscheinend fürs Lebensglück. Und bei der Vorstellung „Internat“ am Sonntag profitiert davon das Publikum. Der Schauspielstar der Münchner Kammerspiele, Wiebke Puls, verteilt mit Regisseurin Katharina Marie Schubert zum Schluss warmen Apfelkuchen.
Dass diesmal auch ein Staatsschauspiel bei den Wasserburger Theatertagen gastiert, ist der Schauspielerin Svetlana Belesova zu verdanken, einer alten Bekannten, die inzwischen zum Ensemble der Kammerspiele gehört.
Sie brilliert als Sascha. Den Internatsschüler will sein Onkel aus der ukrainischen Kampfzone allen Kriegswirren zum Trotz zu frischen Bettlaken und vom Opa gebackenem Apfelkuchen heimholen. Die szenische Lesung nach dem Roman von Serhij Zhadan bringt einen atemberaubend eindrücklichen, hochaktuellen Stoff ins beschauliche Wasserburg.
Das bejubelte Gastspiel wird zur Win-Win-Situation für die Inn-Stadt und das Ensemble: „Wir haben hier viel mehr Platz und ein größeres Publikum als bei den Aufführungen im Habibi-Kiosk an den Münchner Kammerspielen, sagt Katharina Maria Schubert den OVB-Heimatzeitungen. Sie sitzt im lauschigen Biergarten des Wasserburger Theaters. Ein unvergesslicher Abend geht dort zu Ende – mit Prosecco für alle – aufs Haus. Eine gute alte Tradition an allen Theatertagen, eingeführt von Uwe Bertram. An ihr hält das junge Team selbstverständlich fest, auch wenn der Blick jetzt nach vorn geht.