Aufeinander hörendes Spielen

von Redaktion

Herausragender „Violin-Gipfel“ der Inselkonzerte auf Herrenchiemsee

Chiemsee – Drei Konzerte an zwei Tagen und drei verschiedenen Orten: Das vergangene Wochenende war fraglos ein herausragender Gipfel bei den „Inselkonzerten“ auf Herrenchiemsee. Ob es allerdings ein „Violin-Gipfel“ war wie angekündigt, darüber lässt sich streiten. An beiden Tagen haben zwar auch bekannte Violinisten mitgemischt, die „Jahrhundert-Geigerin“ Julia Fischer und Benjamin Schmid, aber: Für bleibende Hörmomente sorgten andere.

Homogener
Klangkörper

Was von diesem Wochenende vor allem hängengeblieben ist, waren vor allem die Leistungen der beiden „Inselkonzerte“-Leiter Nils Mönkemeyer an der Bratsche und William Youn am Klavier sowie des Cellisten Benjamin Nyffenegger und der fünf jungen Streicher-Talente. Sie sind Studierende von Mönkemeyer und Fischer an der Münchner Musikhochschule. Wie sich das junge Quintett an der Seite ihrer Lehrmeister behaupteten, das war eine schiere Freude. Mit ihrem achtsamen, niemals aufdringlichen, aufeinander hörenden Spielen haben Zeyang Kann (Viola) und Milena Umiglia (Cello) sowie die Geiger Jeremias Pestalozzi, Anna Naomi Schultsz und Valerie Steenken wesentlich dazu beigetragen, dass ein homogener, in sich geschlossener Klangkörper erwachsen konnte. Dabei hatten sie zum Auftakt gleich zwei gewaltige Werke zu meistern, nämlich die Streichoktette op. 20 von Felix Mendelssohn und B-Dur von Max Bruch, mit Fischer an der ersten Geige. Hierfür gastierten die „Inselkonzerte“ erstmals in den Rohbau-Räumen des neuen Ludwig-Schlosses auf der Herreninsel im Chiemsee. Das Streichoktett von Bruch wurde erst 1996 wiederentdeckt. Es stammt aus Bruchs Todesjahr 1920, und vielleicht werden deswegen zu Beginn der drei Sätze jeweils die tiefen Register ausgekostet. Generell hat Bruch nicht zwei Celli vorgeschrieben, wie bei den „Inselkonzerten“ gespielt, sondern Cello und Kontrabass.

In der Original-Besetzung wird die Tiefe also noch verstärkt und damit weiter verdüstert. Man mag darüber streiten, ob sich dieses späte Bruch-Oktett gegen das geniale frühe Oktett des damals 16-jährigen Mendelssohn behaupten kann: Es ist gewiss ein hörenswerter Beitrag. Allein das Bratschensolo gleich zu Beginn zeichnet ein ganz besonderes Kolorit: atmosphärisch dicht die Ausgestaltung von Mönkemeyer.

Während das satte, dichte, vibratoreiche Spiel von Fischer zur Spätromantik von Bruch passte, wirkte es bei Mendelssohn stilistisch bisweilen etwas deplatziert. Die große Kunst in der Mendelssohn-Exegese ist das feine, nuancenreiche Herausarbeiten des Brückenschlags zwischen Klassik und Romantik. Das machte sich im Spiel von Fischer leider rar. Im allgegenwärtigen Fokus auf die erste Geige konnte sich zudem eine Partnerschaft auf Augenhöhe im Geist echter Kammermusik nur bedingt entfalten. Ungleich problematischer war jedoch das Gastspiel von Schmid am Folgetag. Gemeinsam mit Mönkemeyer gestaltete der in Salzburg lehrende und lebende Österreicher in der schmucken Kapelle St. Maria auf Herrenchiemsee neben dem alten Schloss das Duo Nr. 2 in B-Dur KV 424 von Mozart. Es war Mönkemeyer, der mit stilsicherer, leichtfüßiger Entschlackung und augenzwinkerndem Humor in diesem Duo für Violine und Viola einen wohltuenden Kontrapunkt setzte.

Auch im späteren Rezital mit Youn am Klavier im Bibliothekssaal des Augustiner-Chorherrenstifts zeigte sich, wie verstaubt Schmids Mozart-Bild ist. Jedenfalls schwärten in der Violinsonate Nr. 28 KV 380 satte Portamenti mit Dauervibrato. Hier wie auch in der Violinsonate G-Dur von Maurice Ravel war es vor allem Youn, der subtile Klanglichkeiten und Farbgebungen aus dem Klavier zauberte: differenziert in Phrasierung und Dynamik. Ein kleiner Bach-Wettstreit zwischen Mönkemeyer und Schmid offenbarte vollends krasse Brüche. Während Schmid im Chorherrenstift die Solosonate für Violine BWV 1001 spielte, gestaltete Mönkemeyer in der Kapelle St. Maria die Cellosuite Nr. 1 BWV 1007 in einer Bratschen-Fassung: ein Unterschied wie Tag und Nacht. Mit seinem Barockbogen von Rüdiger Pfau aus Plauen agierte Mönkemeyer überaus kenntnisreich, stilsicher und fantasievoll. In jeder Wiederholung gab es andere Ausschmückungen und Verzierungen, genauestens dosiert das Vibrato. Der Bach von Mönkemeyer vereint bespielhaft Rhetorik und Tanz, ist historisch informiert, ohne einem trockenen Originalklang-Dogma zu folgen.

Risiko
und Selbstkritik

Mönkemeyer vereint unterschiedliche Haltungen zu einem ureigenen, schlüssigen Ergebnis. Im Vergleich zu seiner Bach-CD von 2012 hat Mönkemeyer an seinem Bach weiter gefeilt. Er ist eben ein echter Künstler und Freigeist, der nicht stehenbleibt. Routine? Für Mönkemeyer unmöglich. Er lebt stets das Risiko und die selbstkritische Befragung, hat ein stupendes Gespür für stilistische Diversität. Seinem Bach hätte man stundenlang lauschen können: ein Hörerlebnis allererster Güte. Ein Bach-Zyklus mit allen Suiten in der Kapelle St. Maria wäre ein Traum.

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