Wasserburg – Trotz Hitze und zahlreicher alternativer Angebote in Stadt und Umland waren auch die Vorstellungen der 17. Wasserburger Theatertage am Freitag- und Samstagabend bestens besucht und zogen ein aufmerksames, interessiertes Publikum an.
Freitagabend war das „Theater … und so fort“ aus München mit dem Stück „Entweder … oder“ zu Gast, eine „komödiantische Farce“ von Jean-Claude Grumberg. Regie führte Jörg Schur. Das Lustspiel behandelt einen Dialog zwischen Nachbar A (Konrad Adams) und Nachbar B (Heiko Dietz) in einem Treppenhaus irgendwo in Frankreich. Er beginnt spontan, wird über Wochen fortgesetzt, von dem einen gesucht, von dem anderen eher ertragen, und überfällt auch das Publikum mit der sehr direkten Einstiegsfrage: „Sind Sie Jude?“ Was zunächst plump-naiv wirkt, entpuppt sich als vielschichtiges Suchen nach Identität und deren Zusammensetzung aus Kultur, Sprache, Glaube und Religion. Einblendungen mit Definitionen jüdischer Feiertage, Bräuche oder religiöser Schriften rhythmisieren den Austausch auf der Bühne: Nachbar A, gehorsam, dickbäuchig und neugierig wie ein Blockwart, erinnert sehr an den Charakter, der ein Hitler-Deutschland damals zugelassen hat. Während Nachbar B‘s Humor, Lakonie und Beruf als Bankangestellter genauso dem Klischee des gebildeten, gewitzten Juden entspricht. Auch die Frage der aktuellen Politik Israels darf in dem pointierten Gespräch nicht fehlen und so liest sich das Treppenhaus und die nachbarschaftliche Auseinandersetzung schnell als Analogie auf den Nahost-Konflikt – ganz schön komplex, alles zusammen betrachtet, und gleichzeitig gut zu verdauen, da, bei ganz wunderbarem Schauspiel, in kleinen Häppchen serviert.
An Tag neun stand die rasante Satire „Stick & Stones“ des britisch-indischen Autors Vinay Patel auf dem Programm, inszeniert von Ercan Karacayli, der auch am Hofspielhaus München Regie führte, wo das Stück auch seine Uraufführung hatte.
Der Untertitel verrät eigentlich schon alles: Denn nichts anderes als eine Tretmine ist es, auf die die Hauptfigur (mitreißend: Natascha Heimes) tritt, als sie, Mitarbeiter:in eines fiktiven Großunternehmens, bei einem Meeting eher nebenbei einen Witz macht und dabei ein Wort nutzt, dessen Verwendung der Anfang ihres beruflichen Endes ist.
Trotz Selbstreflexion und verordneter „Weiterbildung“ in Sachen Sprachkorrektheit zeigt sie sich ehrlich unfähig, die diskriminierende Dimension dieses Wortes zu erkennen oder gar sich zu entschuldigen.
Daraufhin entbrennt eine wahre Hexenjagd, begleitet und geschürt von internen Kampagnen und Gegenkampagnen. Innerhalb nur einer Woche ist die höchste Eskalationsstufe erreicht, die demoralisierte Hauptfigur ist ihren Job los – aber, und das ist auch das Erlösende: nicht ihre Würde.
Obwohl ab „Dienstag“ ausschließlich gestritten wird, gelingt es den Beteiligten nie, wirklich in Kontakt miteinander zu kommen: Zu schief, verunsichert, relativierend ist die Beziehungslage allein auf der sprachlichen Ebene.
Manchmal ist Satire ganz schön nah an der Realität – zumindest versteht das Stück sehr gut, die allseits geforderte Sprachsensibilisierung einer ebenso gegenwärtigen Cancel Culture gegenüberzustellen, und zeigt uns, wie diese, jenseits von Verstand agierend, wirklich zerstörerisch wirken kann.
Bei minimalistisch eingesetztem Bühnenbild und Requisiten entfalteten die Darsteller dank intelligenter Textvorlage mit viel Witz (übersetzt von Daniel Holzberg) und gesanglich gestaltetem Szenenwechsel eine große Dynamik auf der Bühne und schenkten den Zuschauern damit 70 spannende, anspruchsvolle Minuten. Regine Falk