Erl – Ein Beinbruch muss kein Beinbruch sein, zumindest nicht für die Geigerin Veronika Eberle. Die humpelte beim Gastspiel der Camerata Salzburg bei den Tiroler Festspielen Erl mit zwei Krücken auf die Bühne, setzte sich auf einen breiten Hocker und legte dann leidenschaftsglühend los, als ob sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen würde. Energisch ergriff sie die Führung im e-Moll-Violinkonzert von Felix Mendelssohn-Bartholdy und gab sie nicht mehr her.
Aufmerksam und
hingebungsvoll
Schwungvoll mitreißend war das Tempo, äußerst aufmerksam und hingebungsvoll begleitete die Camerata Salzburg unter Führung ihres Konzertmeisters Gregory Ahss, sodass die Verzahnung von Soloinstrument und Orchester mühelos klappte und wunderschöne Mischtöne zwischen Geige und Holzbläsern entstanden. Eberle zeigte eine große Variationsbreite in ihrem saftig-kraftvollen Strich, der mühelos den Saal füllte, und schuf auch mit leisen Tönen und energetischen Trillern große Spannung im Publikum. Sorgsam setzte sie Portamenti ohne Gefühlsschluchzer, sang mit der Geige innig und vor Ausdruckswillen fast bebend, während das Orchester im rhythmischen Einklang mitschwang. Elfenflügelschwirrend begann sie den Finalsatz und führte ihn auftrumpfend wie einen Geschwind-Triumphmarsch weiter bis zum finalen Sturmlauf, der einen wahren Applaussturm erntete. Als Zugabe spielte Veronika Eberle konzentriert-virtuos die „Alia Fantasia“ von Nicola Matteis.
Der Rest des Konzertes gehörte der Camerata und Joseph Haydn. Puristen würden den Kopf schütteln über den massiven orchestralen Klang der beiden Haydn-Sinfonien, die hier so gewichtig wie Beethoven-Sinfonien wirkten. Aber die Camerata spielte so elegant, rhythmisch federnd und auch feinsinnig, dass die Puristen-Bedenken rasch verflogen.
Die Sinfonia Concertante lässt vier Soloinstrumente, nämlich Geige, Cello, Oboe und Fagott, mit dem Orchester freundlich wettstreitend musizieren, was die Solisten aus dem Orchester durchaus selbstbewusst taten, wobei sich die Geige durch einen scharf konturierten Ton auszeichnete. Liebevoll begleitete das Orchester seine Kollegen und alle demonstrierten die vielfältigen harmonischen Abwandlungen des Themas und schufen zauberhafte Serenaden-Atmosphäre im Andante.
Hatte diese Sinfonia Concertante, auch durch die Mitwirkung von Pauken und Trompeten, die Eigenschaften einer Sinfonie und eines Solokonzertes vereint und symphonisch gewichtig gemacht, ließ der Paukenwirbel der Symphonie Nr. 103, der die Uraufführungs-Zuhörer so überraschte wie erstaunte, diese Symphonie noch mehr schon an Beethoven denken, auch weil das Orchester die rhythmischen Akzente scharf betonte und einen – auch durch die Verwendung von engmensurierten Trompeten – zugespitzten, fast wild-expressiven, bisweilen überfallartigen Orchesterklang produzierte. Genüsslich kostete der Pauker (der am Schluss seinen wohlverdienten Sonderbeifall erhielt) seinen Paukenwirbel aus, der dann in eine sich schlangengleich windende Melodiephrase in den tiefen Instrumenten mündet: Haydn ist immer für Überraschungen gut.
Mit instrumentalen
Schattierungen
Feinsinnig mit vielen instrumentalen Schattierungen war der zweite Satz gespielt, melodisch kapriziös mit fast glucksenden „Dudelklang“ das Menuett und nervös gespannt das wirbelnde Finale, das der Musikwissenschaftler Dietmar Holland als „eine der ingeniösesten Formerfindungen Haydns überhaupt“ bezeichnet, weil „sich hier Buffo-Tonfall, kontrapunktische Meisterschaft und strengste thematische Integration miteinander verbinden, ohne dass die Musik ins Schwitzen käme“. Ins Schwitzen kamen allenfalls die Musiker, weil diese immer elastisch gespannt und immer auf der Stuhlkante sitzend sich die Seele aus dem Leib spielten. Den großen Schlussjubel der vielen Zuhörer beantwortete die Camerata Salzburg mit einem kleinen jagenden Haydn-Orchester-Stück.