Erl – Die zehnköpfige „Musicbanda Franui“ aus dem osttirolerischen Innervillgraten, dieses „Umspannwerk zwischen Klassik, Volksmusik, Jazz und zeitgenössischer Kammermusik“, wie das Programmheft feinsinnig formuliert, gehört seit der Gründung der Tiroler Festspiele Erl dazu. Immer wieder mixt sie Volksmusik mit Musik von Mahler und Schubert so verhext, dass man beides nicht mehr auseinanderhalten kann, und seit Neuestem verbündet die Musicbanda sich mit anderen Musikern, Schauspielern, Dichtern oder gar mit dem Puppenspieler Nikolaus Habjan.
Eine Soubrette namens „Lady Bug“
Der hat diesmal eine Puppe namens „Lady Bug“ mitgebracht, eine Soubrette höheren Alters, die seit 15 Jahre auf Abschiedstournee ist und Chansons von Georg Kreisler singt.
Kreisler selbst beschreibt seine Lieder so: „Man nehme einen gar grausigen Anlass und spiele eine Musik dazu, die gar nicht dazu zu passen scheint.“ Die Musik, die Franui spielt, passt wunderbar dazu.
Die zehn Musiker verteilen, verflattern oder fächern die ursprüngliche Klavierbegleitung raffiniert auf ihre fast 20 Instrumente auf, bleiben dabei aber immer dezent im Hintergrund und überlassen der Diseuse „Lady Bug“ generös den Vortritt. Nikolaus Habjan nutzt diesen Vortritt aufs Grandioseste aus, singt die Kreisler-Lieder mit heller, nervös-intensiver und manchmal fast krähender Stimme schneidend-klar und sprachlich überdezidiert. Jedes einzelne Wort schneidet ins Ohr der Zuhörer. Witzig spielt er mit dem Publikum, rügt jeden Huster als Angriff auf ihn (beziehungsweise sie) und bittet schließlich eine Zuhörerin auf die Bühne, um das Triangel zu halten, auf das Kreisler eins seiner berühmtesten Lieder geschrieben hat. So träumt Habjan (oder Lady Bug?) etwas atemlos-pathetisch ein Wien ohne Wiener und beginnt überakzentuiert das „Lied für Kärntner Männerchor“, den vier Männer von Franui dann anstimmen: eine grausige Moritat in gefühlsseliger Harmonie. Dann holt Habjan noch eine Puppe aus dem Kostümkoffer, die Georg Kreisler selber zeigt als Staatsbeamter im gleichnamigen Chanson: die Steigerung der Individualitätskonfusion.
Dazwischen präsentiert die Musicbanda Franui ihre Spezialität: Musik von Gustav Mahler schrägtraurig dekonstruiert und ins Volksliedhafte verfremdet beziehungsweise zur Kenntlichkeit gebracht. Das gipfelt dann im Mix von Mahler und Kreisler in „Das Mädchen mit den drei blauen Augen“ (Kreisler) mit „Die zwei blauen Augen von meinem Schatz“ aus Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“: Absurdität trifft Melancholie.
Am Ende immer philosophischer
Habjan (oder Lady Bug?) wird am Ende immer philosophischer, Lady Bug wirft ihre Perücke von sich und zeigt ihre altersgerechte Glatze, schlägt ihren Puppenführer, stirbt und wird im mitgeführten Kostümkoffer beerdigt. Das Erler Stammpublikum, das das Festspielhaus bis zum letzten Platz gefüllt hat, feiert „ihre“ Musicbanda Franui frenetisch.