Frauenchiemsee – Acht Stimmen können einen stimmgewaltigen Chor bilden. Das stellte man erstaunt fest beim Eröffnungskonzert der Herrenchiemsee Festspiele mit vier Bach-Kantaten im Münster auf Frauenchiemsee. Die Gabrieli Singers unter der Leitung von Paul McCreesh entwickelten zusammen mit dem Orchester der Klangverwaltung einen veritablen Dauer-Jubelsturm in rasantem Tempo – der einige Zuhörer verstörte, die sich leisere Töne gewünscht hatten: „Krach, einfach nur Krach“, urteilte einer von ihnen beim Verlassen der Kirche.
Großartig
und originell
Doch himmlischeren Krach hatte Bach selten komponiert als in diesen vier Kantaten. „Engel arbeiten hart!“, hatte Paul McCreesh vor dem letzten jubelnden Chorstück den Zuhörern zugerufen.
„Bach und der Erzengel Michael“ war nämlich das Motto dieses Konzertes, also Musik, die auf „Streit und Sieg“ gestellt war, wie es in der Kantate „Halt im Gedächtnis Jesum Christ“ BWV 67 heißt, eine von Bachs großartigsten und zugleich originellsten Kantaten. Der Mittelpunkt dieser hochdramatischen Kantate ist ein Bass-Arioso von sprechender Eindringlichkeit, in der Jesus mit dem dreimal wiederholten Grußwort „Friede sei mit euch“ zur Christenheit tritt, hier in Gestalt des dreistimmigen Chors. Inmitten des tumulthaften Streichersatzes wirken diese von Holzbläsern untermalten Worte wie eine herzinnige Beschwörung des Friedens – und plötzlich hochaktuell. Ashley Riches singt diesen Friedenswunsch majestätisch ruhig, nachdem er vorher im Rezitativ der Kantate „Gott, man lobet dich in der Stille“ BWV 120 noch etwas überdeutlich artikuliert hatte. Dafür besang er später so bassstrotzend den „alten Drachen“, den es zu überwinden gilt, als wäre er das, was vernichtet werden muss. Die Geigerin Rebekka Hartmann lieferte sich in einer Arie aus BWV 120 einen edlen Wettstreit mit der Sopranistin Mary Bevan, die zwar einen kraftvollen Sopran führt, aber die Vokale immer mit einem kleinen Anfangs-Crescendo intoniert (dass sie als Choristin einmal übereifrig zu früh einsetzte, ist ihr zu verzeihen). Hartmann agierte da aber nicht als bloße Violin-Begleitung, sondern als äußerst lebhafte Kommentatorin und Antwortgeberin. Natürlicher sang die Sopranistin dann zusammen mit dem soliden, aber etwas neutral singenden Tenor Jeremy Budd (der kurzfristig eingesprungen war) das Rezitativ-Duett, das den Schutz der Engel rühmt in der Kantate „Herr Gott, dich loben alle wir“ BWV 130.
Viele Arien und Rezitative sind dem Alt anvertraut, den hier als Countertenor Tim Mead verantwortete. Erstaunlich kraftvoll ist seine Stimme, voll „hellem Glanz“ der Engel, den er besingt, und sehr beweglich in den zahlreichen Koloraturen und immer ist er rhetorisch überzeugen wollend.
Mit wenigen, aber sympathetisch-animierenden Gesten trieb Paul McCreesh das Orchester der Klangverwaltung zu vielgestaltiger Lebhaftigkeit, zu oft gleißendem Geigenglanz und vor allem Pauken-und-Trompeten-Jubel. Vor allem der Pauker trommelte und wirbelte klangstrotzend, um das Böse zu besiegen. Der größte Jubel aber kam von den Gabriele Singers: schier endlos und tänzerisch im „Jauchzet, ihr erfreuten Stimmen“ aus BWV 120, das einen Satz aus Bachs h-Moll-Messe verwendet („et exspecto“ aus dem Credo), glaubensstark in den Chorälen, freudestrahlend ob Christi Auferstehung (in BW 67) wie mit einem Flammenschwert singend – und wie als Bekräftigung dazu kam das abendliche Glockengeläut der Klosterkirche, das alle zum Innehalten zwang.
Groß angelegte
Chorfuge
Der Höhe- und Schlusspunkt war aber die Kantate „Nun ist das Heil und die Kraft“ BWV 50, die aus nur diesem Chorsatz besteht, einer groß angelegten Chorfuge.
Aus diesen Fugen holten die Sänger so viel tänzerischen Schwung und geradezu hochaufloderndes Feuer, dass viele Zuhörer danach sich unmittelbar von den Sitzen erhoben und stehend applaudierten. Die Engel hatten in der Tat hart gearbeitet: Engel jubeln wohl nicht leise.