Amerang – Dass der in Italien und im deutschsprachigen Raum gleichermaßen populäre Liedermacher unter anderem die Arena di Verona füllt, bot Ortholf von Crailsheim bei seiner Begrüßung eine willkommene Überleitung. Haben die Stadtherren von Verona, die Scaliger, sich doch einst auf ihren Landsitz nach Amerang fortgemacht, eine historische Episode, von der noch heute der Renaissance-Arkadenhof zeugt. Pippo Pollina und das Palermo Acoustic Quintet eröffneten das restlos ausverkaufte Konzert ebendort mit „Una musica anche domani“, dem ersten Titel aus dem 2020 unter Corona-Bedingungen produzierten Album „Canzoni segrete“. Es wird auch morgen noch Lieder geben, lautet die Message, womit Pollina klarmacht, dass er sich seinen Optimismus trotz aller Krisen bewahrt hat. Die Hoffnung, das ist sein großes Thema. Als Künstler sieht sich Pollina hier von jeher in der Verantwortung. Liegt nicht in jeder Krise auch eine Chance? Die Mafia in Sizilien und die Korruption in Italien, vor diesem Hintergrund hatte Pollina Mitte der 1980er-Jahre mit 20 Jahren seiner Heimatstadt Palermo und seinem Land den Rücken gekehrt. In der Tradition der italienischen Cantautori Fabrizio de André oder Lucio Dalla wurde er zum Chronisten der Zeit mit all ihren Krisen. Das bewegende Stück „Centopassi“ (100 Schritte) ist dem 1978 ermordeten Anti-Mafia-Kämpfer Peppino Impastato gewidmet. „Questo tempo passera“, singt Pollina – diese Zeit wird vorüber gehen. Sie wird deine Sorgen mit sich nehmen. Und es wird nichts geben, das dich halten könnte. Das Lied „Pizzolungo“ auf dem neuen Album ist inspiriert vom Schicksal Margherita Astas aus dem gleichnamigen sizilianischen Ort. Durch ein Attentat der Cosa Nostra, das eigentlich einem Anti-Mafia-Richter galt, verlor sie als Zehnjährige Mutter und Brüder. Das dichte Stück beginnt sanft mit einem Saxofon-Intro und endet in einem sich überschlagenden Trommelwirbel, der an Kugelhagel erinnert. „Non c’é perdono“ – es gibt kein Vergeben. In Italien hat Margherita Asta, heute 48 Jahre alt, Pollinas Tournee begleitet und auf der Bühne ihre Geschichte erzählt.
2017 reagierte der in der Schweiz lebende Liedermacher mit dem Album „Il Sole che verra“ (Die Sonne, die kommen wird) auf Zeiten zunehmender Radikalisierung. Den Titel „A mani basse“ (Mit gesenkten Händen) widmete er seinem Jugendidol, dem Boxer Muhammad Ali. Er bewundere dessen spezielle „Kampfphilosophie“, so Pollina, und den Mut, Nein zum Vietnamkrieg gesagt zu haben. „Vai, vai“ – geh zu, am Ende des Tunnels findest du die Straße, die direkt ans Meer führt. Ans Meer, Sehnsuchtsort des Auswanderers. Pollina besingt es auch in „Mare, mare, mare“. „Vai, vai, vai“ skandiert der Sänger in „Anni venti“, ebenfalls aus dem gefeierten Album „L‘appartenenza“ (2014). Das Gehen im Sinne von sich bewegen, nicht stillstehen, sein Ding machen, eint als Hauptmotiv alle Lieder. „Und sie bewegt sich doch“, beharrte Galileo Galilei einst in Bezug auf die Erde. „Eppure si muove“ singt Pollina und meint damit die Hoffnung, la speranza. „Usciamo dai!“, dieser beherzten Aufforderung im Folk-Song „Il nibbio“ (Der Drachen), raus zu gehen, auf die Piazza, ins Leben, kann man sich kaum entziehen. Die Lust wegzugehen (questa voglia di andare via), sie taucht auch im Bossa-Nova-Stück „Bossa in Viaggio“ auf. Und schließlich der Klassiker „Camminando“ – gehend.
Pollina gestand, er habe befürchtet, die „Canzoni segrete“ (geheime Lieder) könnten heute, drei Jahre nach ihrer Entstehung, nicht mehr „frisch“ sein. Doch sie sind unverbraucht, als wären sie erst durch die Live Performance geboren. Genauso frisch klang auch Pollina selbst mit seiner farbreichen expressiven Stimme. Kongenial die begleitenden Musiker aus Catania, Palermo, Rom, Ischia und Apulien, deren Einsatz an Saxofon, Klarinette, Querflöte, Mundharmonika, Gitarren, Kontrabass, Schlagzeug, Akkordeon und Klavier immer wieder mit Zwischenapplaus gefeiert wurde.
Natürlich wurde auch der Krieg thematisiert, das Ende der langwährenden Friedenskultur in Europa. Als Cantautore fühlt sich Pollina dem Pazifismus verpflichtet. Das samtweiche „Sambadio“ ist von dieser Haltung getragen, ebenso das neue Stück „Un’altra vita“ – ein anderes Leben.
Den Abend beschloss als Zugabe die berühmte Partisanen-Hymne „Bella Ciao“. Alleine am Klavier steigerte der Sänger die Intensität des Lieds, das vom Abschied nehmen mit dem Tod vor Augen erzählt, indem er es in der zweiten Stimme intonierte. So schuf er eine Tiefe und Ernsthaftigkeit, die heutige Interpretationen oft vermissen lassen, und nicht zuletzt einen letzten magischen Moment. Angela Pillatzki