Herrenchiemsee – Wenn „Virtuosen aus Böhmen und Italien“ auf Virtuosen aus Köln treffen, dann gibt es ein hinreißend mitreißendes und affektfreudiges Stelldichein. Barocke Daseinsfreude im Jetzt mit dem Concerto Köln unter Leitung von Violinist Evgeny Sviridov. Die sich im Spiegelsaal des Schlosses Herrenchiemsee widerspiegelt. Genau wie es der Übertitel der Herrenchiemsee- Festspiele verspricht: „Der Welt entrückt.“
Heterogene Klanggruppen
Das Zusammenspiel der Musiker von Concerto Köln ist geprägt vom „concertare“, das Miteinander heterogener Klanggruppen, die miteinander auf Augenhöhe musizieren, da drängelt sich keine Stimme in den Vordergrund – und dieses Miteinander übertrug sich unmittelbar auf das Publikum.
Mit jeder Faser kosteten die 15 Musiker – 14 Streicher und ein Cembalist – die barocken Musikpreziosen aus. Straffe Tempi, vitale, dynamisch fein abstufende Gangarten und ein sehr transparentes Klangbild, präzise und kenntnisreich die Artikulation und Phrasierung im Originalklang auf Darmsaiten mit Barockbogen – das war Barockmusik vom Feinsten. Das Concerto C-Dur für Streicher und Basso continuo RV 114 von Antonio Vivaldi (1678-1741) war kurz und knackig, nicht minder ansprechend auch später im Programm Vivaldis Concerto d-moll für Streicher und Basso continuo RV 128. Die Sonata IV a-Moll von Frantisek Ignác Tuma (1704-1774) war galant und reich an kunstvoll markierten Akzenten zugleich. Das Concerto B-Dur für Violine und Streicher von Franz Benda (1709-1786) geriet nicht minder großartig: Da brachte Evgeny Sviridov mitten in schnellsten Läufen die duftig leichte Kantilene zum Singen, dazu eine farbenreiche Continuobegleitung und knackiges Cembalospiel. Versponnen-träumerisches Adagio paarte sich mit eigenwilligem böhmischem Einschlag im allegro- und presto-Satz in Bendas Sinfonia à 4 in G-Dur. In Evaristo Felice dall’Abacos (1675-1742) Concerto à più istrumenti D-Dur op. 5 Nr. 6 standen ein quicklebendiger Chaconne-Satz direkt neben reinsten italienischen Sequenzen, ein singendes Adagio neben einem Menuett. Bei Tomaso Albinonis (1671-1750) Sonata III à 5 A-Dur op. 2 Nr. 5 bot Concerto Köln hochsensibel abgestufte Dynamik bei differenzierter Artikulation dar. Im Concerto für Violine, Streicher und Basso Continuo RV 208 von Vivaldi, überschrieben auch mit Grosso mogul („Großmogul“) mutete der Mittelsatz, ein Rezitativ der Solo-Violine mit etlichen „türkisch“ klingenden, übermäßigen Intervallen, orientalisch an. Und klang doch nach Vivaldi mit seinem unwiderstehlichen rhythmischen Elan, einfachen Wiederholungen und eingängiger Dreiklangsmelodik.
Kunstfertig nahm Konzertmeister Evgeny Sviridov die Bariolagen, Verzierungen und Doppelgriff-Passagen bis in die hohen Lagen hinein, dazu das brillant aufspielende Concerto Köln – allein das Zuhören war atemberaubend. Genuss pur. Da mussten Zugaben her:
Energiegeladene Glissandi
Auf die erste Zugabe – „etwas Ruhiges“, wie Sviridov sagte, das adagio aus der Bachschen (1685-1750) g-moll-Sonate BWV 1029, bei dem Sviridov den Solopart übernahm und von seinen Mitstreitern im pizzicato begleitet wurde – folgte ein presto aus der B-Dur-Sonate von Benedetto Marcello (1686-1739): Energiegeladene Glissandi bei vollster Transparenz.
Im Programm konnte man nachlesen, dass die Komponisten, die Virtuosen des blühenden Barocks, die Lust zu hören, zu befeuern und ständig aufs Neue anzufachen verstanden. Concerto Köln verstand es, diese Lust zu vermitteln. Hinreißend mitreißend und affektfreudig.