„Aus dem tiefen Klang der Farbe schöpfen“

von Redaktion

Dem Seeoner Künstler Hermann Wagner zum 95. Geburtstag – Transzendentale Inhalte und meditative Bilder

Seeon-Seebruck – „Mitten in der Nacht wird der Tag geboren“ – nennt Hermann Wagner seine tiefrote, großformatige Bildmeditation. Meist haben seine Bilder jedoch keine Titel. Da hält er es mit dem französischen Maler und Bildhauer Edgar Degas, der sagte, „bei Leuten, die etwas von Kunst verstehen, bedarf es keiner Worte. Man sagt Hm!, Ha! oder Ho! Und damit ist alles ausgedrückt.“

Hermann Wagner ist sicher einer der ältesten Maler weltweit, die noch aktiv sind und auf jeden Fall ist er das älteste Mitglied des Kunstvereins Traunstein. Gerade ist er 95 Jahre alt geworden. Noch immer kann er allein in seinem schönen, selbst entworfenen Haus in Seeon mit dem verwunschenen Garten drum herum leben.

In seinem fast ein Jahrhundert dauernden Leben hat Hermann Wagner viel erlebt – Erfahrungen, die sich in seinem Werk niederschlagen. Dabei ist er weltoffen, positiv denkend und aufgeschlossen für Neues geblieben. 1928 in Gärtenroth im bayerischen Landkreis Lichtenfels als Sohn gläubiger Protestanten geboren, wollte er ursprünglich Gärtner werden und legte dann dank seiner großen Begabung doch das Abitur in Kulmbach ab. Jetzt wäre ein Kunststudium sein großer Wunsch gewesen, was aber die wirtschaftlichen Umstände nach dem Krieg nicht erlaubten. So studierte er an der Technischen Hochschule in München Botanik und war dann viele Jahre lang am Amt für Landwirtschaft im Bereich Tierzucht in Traunstein tätig.

Schon während des Studiums lernte Hermann Wagner seine spätere Frau Elisabeth kennen – allen nur bekannt als Liesl – mit der er 60 Jahre glücklich verheiratet war und drei Kinder bekam. Sie starb 2008. In den 1960er-Jahren wurde er im Berufsverband Bildender Künstler aufgenommen, nachdem er in der Eremitage in Bayreuth sechs seiner großen Farbflächenbilder zeigte. Inzwischen sind seine Bilder weltweit in großen Museen und Sammlungen zu sehen. In seiner langen Zeit als Maler durchlebte Wagner eine ganze Reihe künstlerischer Phasen. Angefangen von gegenständlicher, expressiver Malerei wandte er sich bald der expressiv informellen Bildsprache zu. Schon seine frühen Bilder enthalten in ihren nachtblauen, von weißen Schlieren durchzogenen Universen klare Hinweise auf transzendentale Inhalte. „Verantwortlich als Christ, war ich immer dankbar malen zu dürfen“, sagte Hermann Wagner beim Gespräch über seinen bevorstehenden Geburtstag. In den 1990er-Jahren wurde er bekannt für seine großformatigen Farbfeldbilder – meditative Bilder, deren Farbintensität eine spirituelle Kraft ausstrahlen. Dabei geht es Wagner zum einen um die Wirkung der Farbe an sich, zum anderen um das Zusammenwirken mit ähnlichen anderen Farben, so- dass sie harmonieren und in eine Art von Dialog treten. Oft werden sehr viele, bis zu 20 Farbschichten aufgetragen.

„Was ich malen will, ist nicht zu sehen“, sagt Hermann Wagner dazu. Um es sichtbar zu machen, müsse er es malen „aus dem tiefen Klang der Farbe schöpfen“, denn ein Künstler malt seiner Auffassung nach unbewusst aus einer inneren Notwendigkeit heraus. Jeder sensible Betrachter wird die große Intensität spüren, die von seinen Arbeiten ausgeht.

Seit dem Jahr 2000 malt Hermann Wagner seine von ihm so benannten „Spaltenbilder“. Auch bei ihnen versucht er, alles Vordergründige wegzulassen. Eine schrundige Oberfläche unter den Farbschichten bricht auf, um den Blick in tiefere Bedeutungsschichten freizugeben. Dabei bezieht sich Hermann Wagner auf ein Gedicht von Fridolin Stier:

„Vielleicht… Aus dem Spalt/ in der Wand/ des Alls/ in das finstre Verlies/ brach plötzlich/oh schön!/ ein Schein/ und schwand./ Ist vielleicht?/ Ist irgendwo?/ Vielleicht/ ist/ irgendwo/ Tag.“Christiane Giesen

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