Der beflügelnde Klang

von Redaktion

„Festivo“-Eröffnung mit neuem Michelangeli-Flügel und dem „Swiss Piano Trio“

Rohrdorf – Auch Traditionen sind nicht selbstverständlich. Das gilt auch für „Festivo“. Vor genau dreißig Jahren fiel der Startschuss für die allererste Ausgabe des Aschauer Kammermusik-Festivals. Heute ist „Festivo“ aus dem Musikleben nicht mehr wegzudenken. Das Geheimnis dieses Erfolgs? Statt Traditionen und Konventionen zu zementieren, wird hier der Wandel gelebt. Allein deswegen gelingt Johannes Erkes, Gründer und Leiter der Reihe, jedes Jahr eine Überraschung.

Bei der diesjährigen Eröffnung mit dem „Swiss Piano Trio“ im Foyer von Schattdecor in Thansau bei Rohrdorf gab es gleich mehrere Überraschungen.

Klavierquartett
von Mahler

Mit Erkes an der Bratsche gestaltete die Schweizer Truppe nicht nur zwei bekannte Klavierquartette von Mozart und Antonín Dvorák, sondern auch eine Rarität. Der frühe Klavierquartett-Satz des 16-jährigen späteren Groß-Sinfonikers Gustav Mahler findet jedenfalls im Konzertleben kaum statt. Das war die erste Überraschung, die zweite ist der neue Flügel von Schattdecor. Als gleich zu Beginn des Konzertabends das schroffe, finstere Unisono-Thema aus Mozarts Klavierquartett in g-Moll erklang, war sofort klar: Das ist ein völlig anderes Instrument. Im Vergleich zum bisherigen Flügel mischen sich die Farben mit den Streichern ungleich nuancenreicher. Auch der hallende Nachklang im Foyer von Schattdecor ist für den neuen Flügel überhaupt kein Problem. Niemals überdeckte der Klavierklang die Streicher. Alles wirkte wie aus einem Guss.

Noch dazu war auf Anhieb zu hören, wer einmal auf diesem Flügel gespielt haben muss: der große Arturo Benedetti Michelangeli. Es ist kein Geheimnis, dass der 1995 in Lugano verstorbene „Jahrhundert-Pianist“ aus Italien äußerst penibel, genau und eigen bei der Einstellung seiner Flügel war. Er ließ nur einen einzigen Klaviertechniker an seine Instrumente: den „Steinway-Magier“ Angelo Fabbrini. Mit ihm tourte Michelangeli durch die Welt und schloss sich bei sich zu Hause ein, um tage- und nächtelang an den Einstellungen und Stimmungen zu feilen. Das muss völlig irre gewesen sein, aber im Ergebnis überwältigend. Selbst die Tasten wurden für Michelangeli angepasst. Sie sind nicht abgerundet, sondern leicht schräg. Es ist eine echte Sensation, die Schattdecor mit dem Kauf gelungen ist. Das Instrument ist der letzte Flügel des Meisters.

Er befand sich zuletzt im Besitz eines Münchner Philharmonikers, wurde liebevoll gepflegt und gehegt. Dieser Flügel hat seine Tücken. Der Anschlag reagiert sofort, schon bei der kleinsten Betätigung. Absolute Kontrolle und Beherrschung sind oberstes Gebot. Dafür aber wird man mit einem singulären Reichtum an Farben, Ausdrücken und dynamischen Schattierungsmöglichkeiten belohnt. Michelangeli liebte eben die filigrane, schwebende Klangsinnlichkeit.

Auch deswegen zählte er nicht zuletzt zu den führenden Interpreten des französischen Impressionismus. Der Pianist der „Festivo“-Eröffnung, Martin Lucas Staub, hat bereits auf einem Michelangeli-Flügel in der Schweiz gespielt: ein Vorteil. Mit Angela Golubeva (Violine) und Erkes (Viola) sowie Sebastian Singer, der am Cello den erkrankten Joël Marosi ersetzte, legte Staub auch in Dvoráks Klavierquartett op. 87 ungeahnte Klanglichkeiten frei.

Aus tiefster
Düsternis

Die eigentliche Offenbarung war aber der kaum bekannte Mahler. Wie da die Musik aus tiefster Düsternis erwuchs, das war ein Hörerlebnis allererster Güte. Ein Instrument kann eben die Welt verändern. Noch am Mittwoch, 2. August, sowie am Samstag, 16., und Freitag, 29. September, lässt sich der neue Michelangeli-Flügel bei Schattdecor in besten „Festivo“-Besetzungen erleben: hingehen und genießen.

Artikel 5 von 7