Erl – Schwerblütig und schwermütig endeten die Tiroler Festspiele Erl mit einer Sonntagsmatinee, die eigentlich heitere Musik versprechen und die Zuhörer mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause schicken sollte. Stattdessen herrschte düsteres Pathos und trauerschwere Theologie – aber wenigstens mit einem tosenden Schluss.
Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin
Auf dem Programm standen nämlich die „Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin“ von Max Reger und die „Quattro pezzi sacri“ von Giuseppe Verdi. Zweimal vier gibt acht – die Zahl der Vollendung. Und vollendet war die Wiedergabe durch das Orchester und den Chor der Festspiele Erl unter der Leitung von Renato Balsadonna. Sie machten das unpassende Programm zu einem mehr als passenden finalen Glanzpunkt der Festspiele.
Regers satte und schwere Farbigkeit malten die Orchestermusiker aufs bunteste aus. Quellende Intensität herrschte in „Der geigende Eremit“, eine Intensität, die sich ins rauschhaft Gleißende steigerte und dann beim Einsatz der Bruckner-feierlichen Blechbläser ins hauchend-gespannte Piano zurücksank. Renato Balsadonna ließ dieses Adagio, in dem sich spätromantische Chromatik mit eingeflochtenen kirchentonartlichen Wendungen zu einem schwärmerischen Religioso vermischt, sich klar entfalten und blumenhaft bunt aufblühen. Als geigender Eremit fungierte der Konzertmeister, der sein schweifendes Violinsolo sanft in den Gesamtklang bettete. Sprudelnd, quirlend und gischtend rollten die Wellen im perfekt markierten Dreiertakt im „Spiel der Wellen“, auch klangfarblich apart im Wechsel von Streichern und Bläsern. Hervorragend abgemischt waren auch die Orchesterfarben in „Die Toteninsel“, zehrend in ihrer Spannung waren die expressiven melodischen Bögen, und die gestopften Trompeten verfehlten ihre Wirkung nicht: Wie tränenblind ersticktes Schluchzen hörten sie sich an. Der zyklopenhaften Lustigkeit des das „Bacchanal“ nahm Balsadonna die wuchtige Schwere: Ein zeitgenössischer Musiker meinte, es komme ihm vor, als ob am Schluss Zeus mit seinen olympischen Göttern arg betrunken wäre – zumindest meinte man, vor allem in der orgiastischen Stretta, Aphrodite mit ihrem hinkenden Gatten Hephaistos einen Can-Can tanzen zu sehen: großartige Orchesterkunst. Nach der Pause dann der Umschlag vom Olymp zum christlichen Kreuz: Der vielköpfige Festspielchor erobert mit den „Pezzi sacri“ die Bühne und die Gunst der Zuhörer. Dass er perfekt vorbereitet ist, hört man vor allem in den beiden A-cappella-Stücken: Mühelos ist der Stimmansatz, vibratolos bis -arm die Stimmgebung, lang klingt das „n“ im Amen aus im „Ave Maria“. Hier steigerte der Chor die Intensität im Verlauf des Stücks, hätte aber auch die Innigkeit noch steigern können. Die etwas kehligen Alt-Stimmen in den „Laudi alla vergine Maria“ hörten sich ein bisschen ostkirchenähnlich an, hier war etwas Zaghaftigkeit in den Einsätzen zu spüren, was aber auch als ein kleiner Schauder vor dem Geheimnis der Jungfräulichkeit Mariens interpretiert werden könnte. Dass der Dirigent ursprünglich vom Chordirigieren kommt, konnte man sehen: Ohne Stab formte er mit runden und suggestiven Gesten den Chorklang. In den orchesterbegleiteten Stücken griff er wieder zum Stab und leitete diese schnörkellos-effektiv, arbeitete im „Stabat mater“ die heftig schmerzlichen Orchester-Akzente und Seufzer-Motive bis zum Aufschrei heraus, reizte aber nicht alle Effekte bis zur Gnadenlosigkeit aus, sondern formte dezent, aber deutlich eine marmorne Trauermusik. Mehr Effekte gab’s dann im „Te Deum“: In schneller Folge wechseln sich da Gregorianik, trompetenschmetterndes und kesselpaukendes Opernpathos mit fast an Wagners „Parsifal“ anrührende Weihrauch-Stimmung ab.
Glaubenssicher jubelnde Solistin
Der Chor und das Orchester gaben da alles mit großem Furor, bis hin zur am Schluss auftretenden und glaubenssicher jubelnden Sopransolistin Monika Buczkowska: Auch das ergriffene und letztlich überzeugte Publikum jubelte.
Waren diese „Pezzi Sacri“ jüngst auf Münchens Odeonsplatz wirkungsmäßig verpufft: Hier wurden sie zum Ereignis.