Präzise ausformulierte musikalische Rhetorik

von Redaktion

Freiburger Barockorchester wartet bei Festivo in Hohenaschau mit zwei Counter-Tenören auf

Hohenaschau – Das Freiburger Barockorchester – hier in Consort-Formation – sowie die beiden Counter-Tenöre Terry Wey und Valer Sabadus warteten mit barocken Werken von Giovanni Pergolesi und Antonio Vivaldi beim Festivo-Konzert in der Hohenaschauer Festhalle auf. Und verwöhnte sein Publikum mit einer wunderbar tiefsinnigen Dimension und mit Gänsehaut-Momenten. Vor 30 Jahren begann die Festivo-Konzertreihe und ist seitdem aus dem kulturellen Leben nicht mehr wegzudenken. Da werden wichtige Akzente gesetzt, da wird Musik gelebt, das strahlt weit über die Grenzen des Chiemgaus in die Musikwelt aus. Und es will schon etwas heißen, wenn sich zahlreiche Ehrengäste aus Politik und Wirtschaft unter die Konzertbesucher einreihen, um der Musik zu lauschen. Dieses Mal stand Sakralmusik auf dem Programm. Als Klammer dienten Pergolesis Sinfonia in B-Dur und das Concerto Madrigalesco in d-Moll von Vivaldi. Das Freiburger Ensemble – Petra Müllejans und Christa Kittel (Violinen), Corina Golomoz (Viola und Viola d‘ Amore), Stefan Mühleisen (Violoncello), Matthias Müller (Violone), Lee Santana (Laute) und Torsten Johann (Cembalo) – bot einfühlsam und klug ausbalanciert bis hin zu feuriger Attacke die dreisätzigen Werke dar. Dazwischen gab es die Vivaldi-Kantate „Nisi Dominus“ RV 608 nach dem Psalm 126 und später die Vivaldi-Motette „Sum in medio tempestum“ RV 632. Die neun Strophen des „Nisi Dominus“ – getragen vom hervorragend aufspielenden Kammermusikensemble – waren schlichtweg ergreifend. Betörend schön mischte sich Weys warme und klare Stimme mit dem Streicherklang des begleitenden Ensembles. Atemberaubende Stille herrschte, als die in Halbtonschritten aufsteigenden Klänge der tiefen Instrumente ummalt von den Melodiebögen der hohen Streicher das „cum dederit“ – Gänsehaut dank Weys atemberaubenden Stimmklang – einleiteten. Faszinierend, wie Wey innerhalb von schnellen Koloraturpassagen noch per Binnenartikulation das „Sicut sagittae“ (wie Pfeilspitzen) zu gliedern vermochte. Die Motette „sum in medio tempestum“ RV 632 von Vivaldi gestaltete Countertenor Valer Sabadus nicht minder aufwühlend und effektvoll in der Umsetzung der textimmanenten Affekte mitten im Sturm. Technischer Elan und expressive Wärme kennzeichneten Sabadus‘ Sopran, das Alleluia des „In turbato mare“ (im schäumenden Meer) war atemberaubend. Das Sakralstück des neapolitanischen Barocks, das „Stabat mater“ in f-moll von Pergolesi, gesteigert in seiner artifiziellen Schmerzensdarstellung durch die beiden Countertenorstimmen, war schließlich Emotion pur. Man konnte sich die unter dem Kreuz stehende Mutter Gottes bildlich vorstellen. Die klaren Stimmen, die von den Schmerzen und Tränen sangen, kontrastierten so schön, eingerahmt vom grandios aufspielenden Ensemble – das war präzise ausformulierte und betörende musikalische Rhetorik. Mal dezent, zartfühlend und in feinsten Pianissimi, dann wieder im sich steigernden dramatischen forte. Die Solo-Nummern gerieten zum ergreifenden Erlebnis: Erschütternd das „quae morebat et dolebat“ (Sabadus), aufwühlend das „eja mater fons amoris“ (Wey). Nicht minder bewegend, bittersüß, melodisch waren die Duette: berührend das „quis est homo,“ und Gänsehaut, als das „quando corpus morietur“ erklang. Sabadus‘ Sopran- und Weys‘ Altstimme verschmolzen schließlich zu einer Illusion singender Engel. Genau wie es gegen Ende heißt: „in paradisi gloria.“ Das finale „Amen“ im presto setzte dem Ganzen ein Glanzlicht auf. Da brauchte es keine Zugabe. Da war man dem Himmel ganz nahe. Elisabeth Kirchner

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