Herrenchiemsee – Gottlob ohne Regenguss und Blitz und Donner, sondern mit strahlendem Sonnenschein (plus fast rundem Mond) kulminierten die Herrenchiemsee Festspiele mit Kent Nagano und dem Orchester der Klangverwaltung.
Das Programm bescherte uns mit Franz Schuberts „Großer“ 9. Symphonie, einem Weltkulturerbe in C-Dur, einen Höhepunkt: Wir wurden „der Welt entrückt“, um diese umso besser und tiefer zu verstehen zu lernen. Doch zu Beginn kam erst einmal wieder Joseph Haydn zu Wort.
Höfischer
Glanz strahlt
Seine Sinfonia concertante ist, man kanns nicht anders sagen, ein Juwel: Einerseits strahlend in höfischem Glanz, andrerseits überquellend von Eingebungen, die freilich meisterhaft gezügelt und durch einen horrenden Formwillen verdichtet werden.
Als Motor und Seele dieses klassischen „Concerto grosso“ agierte ein fantastisches Viergespann: Rebekka Hartmann (Violine), Isang Enders (Violoncello), Jürgen Evers (Oboe) und Thomas Eberhardt (Fagott). Diese Vier schienen sich beim nächsten Stück, einer Uraufführung des französischen Komponisten Jean-Pascal Beintus (geboren 1966), noch an Intensität und Virtuosität zu übertreffen.
Beintus ließ sich von Haydns konzertantem Schwung anregen und schrieb gewissermaßen eine Paraphrase über das Werk seines großen Kollegen. Ein süffig postmodernes Opus, wohltönend, schlüssig und die Möglichkeiten der Instrumente souverän nutzend, bekamen Stück und Solisten (vermehrt um den Kontrabassisten, aber ohne Orchester spielend) riesigen Beifall. Ein Fragezeichen freilich bleibt: Nämlich der Titel „Ein ewig Rätsel will ich bleiben“. Die Musik des Franzosen war doch so sonnig und klar. Franz Schuberts Symphonie Nr.9 C-Dur gibt zwar den Musikwissenschaftlern jede Menge Rätsel und Nüsse zum Knacken auf.
Den Hörer weiht Schubert aber in tiefe Geheimnisse, ja Mysterien ein, freilich ohne Esoterik. Man glaubt, dieses Wunderwerk einigermaßen im Kopf zu haben, und nun hört man es unter Kent Nagano und der Klangverwaltung so neu, so ungewohnt. Gemütlichkeit ist weggefegt, die Musik zeigt sich unerbittlich, als würde Schubert einer Psychoanalyse unterzogen.
Das Horn-Solo zu Beginn lässt in seiner wehen Verlorenheit an Gustav Mahler denken. Überhaupt haben die beiden Komponisten gemeinsame Schnittmengen: Die Beheimatung im k.-u.k.-österreichisch-böhmischen Milieu (die aufgeheizten Ländler etwa) ist unverkennbar, Brüder im Geiste sind sie aber vor allem in ihrer ungeschützten Emotionalität.
Der zweite Satz „Andante con moto“ bietet zwar immer wieder diese „der Welt entrückten“ Melodien, doch die Fortissimo-Akzente, mit denen das Orchester jedwede Affirmation zunichte macht, wirken wie glühende Messer.
Und da denkt man wiederum an entsprechende Stellen in Mahlers Liedern. Naja, auch in Eroticis waren Schubert und Mahler ähnlich vom Schicksal bedacht: Heiße Liebe und viel Frust – das will sublimiert werden.
Diskret-bescheidener
Magier
Kent Nagano, der diskret- bescheidene Magier kommt als Dirigent mit knappen Gesten aus; dank seiner aufs Wesentliche gerichteten Konzentriertheit verwächst er mit dem Orchester zu symbiotischer Einheit.
Dieses dankte dem Meister wiederum mit demonstrativem Beifall. In den lang anhaltenden Fortissimo-Applaus des Publikums mischten sich jede Menge emphatisch- impulsive Bravo-Rufe.