Oberaudorf – Die Nacht war hereingebrochen über das Kloster Reisach, die Sterne funkelten und alle standen auf der Bühne des Klosterhofes und sangen gemeinsam „Weißt Du, wieviel Sternlein stehen?“. Alle heißt: eine professionelle Opernsängerin, ein Tenor, der zuvor in der Lederhosn und dann im Frack Operettenlieder sang, ein Mini-Orchester, ein unermüdlich aufspielender Pianist, eine immer durch die Zuschauer streifende Wald-Elfe und tanzende Kinder. Es war – nach Abzug einer Regenwolke – das Ende eines Abends voller „Herzensklänge“, wie es im Programmheft hieß, in der zauberhaften Atmosphäre des liebevoll geschmückten Klosterhofes Reisach mit viel lokalem Charme. Die Opernsängerin Anahita Ahsef hatte an zwei Abenden eingeladen, ihr Mann Thomas Thiele hatte alles organisiert, für Verpflegung gesorgt und den Klosterhof dafür eingerichtet mit Licht, Bierbänken, Liegestühlen. Die Zuhörer machten es sich bequem und genossen die vielfachen Darbietungen.
Bei so viel lokalem Charme muss man nicht über gesangliche Perfektion nachdenken, über nicht oder nur mühsam erreichte Spitzentöne oder über die etwas frei verrutschte Rhythmik in einem Klavierstück von Schubert. Das Vorprogramm hätte etwas stringenter ohne lange Zwischenpausen präsentiert werden können, und für die Ansagen wäre ein Mikrofon nötig gewesen. Wesentlich aber waren die versprochenen „Herzensklänge“. Und von denen gab es reichlich in diesem kunterbunten Programm.
Der Pianist Thomas Hartmann spielte mit nimmermüder Energie einfach alles, vom Volkslied über Opern- und Operetten-Arien bis zu Pop-Songs. Zu der Klavierfantasie „Kumru“ (heißt: die Taube) von Fazil Say tanzte die sonst umherstreifende Wald-Elfe elegisch ein Solo.
Anahita Ahsef sang eine Arie aus dem „Freischütz“ („Wie nahte mir der Schlummer“) und Kunstlieder von Schubert. Zu dessen Lied „Auf dem Wasser zu singen“ simulierten Tanzmädchen mit einem großen blauen Tuch die Wellenbewegungen: Die Musik wurde sinnlich erlebbar. Einige Operetten-Arien sang Ahsef zusammen mit dem Tenor Richard Wiedl.
Der bewältigte ein staunenswert großes Programm und entpuppte sich als umtriebiger Animateur, der auch das Publikum mit Erfolg zum Mitsingen und -tanzen (beim „Vilja“-Lied von Franz Lehár und bei „Tanzen möchte‘ ich“ von Emmerich Kálmán) aufforderte. Er selber versuchte sich, zusammen mit zwei Ballett-Damen, im Csardas („Komm mit nach Varasdin“ von Kálmán), von den Zuhörern mit tosendem Applaus belohnt.
Sein Lied „Auf Flügeln des Gesanges“ war das heimliche Motto-Lied des bezaubernden Abends: Als Zuhörer fühlte man sich wirklich auf Flügeln getragen von den Klängen des Gesangs und von den so natürlich-fröhlichen Tanzdarbietungen (Choreografie: Rebecca Plattner).
Kinder tanzten und sangen mit Zylinder auf dem Kopf und in der Hand anrührend „Schön ist ein Zylinderhut“, und kurz vor Schluss beschworen die Sänger die Schönheit unsrer Welt („What a wonderful world“), während die Tanzkinder mit farbigen Bändern die Buntheit der Welt darstellten: What a wonderful idea! Rainer W. Janka