Von Bethlehem nach Ägypten geht’s durch Böhmen

von Redaktion

Lange nicht mehr erhältlicher Roman von Otfried Preußler wieder aufgelegt

Am 20. Oktober dieses Jahres wäre Otfried Preußler 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Preußler-Jubeljahr hat der Patmos-Verlag den köstlichen Roman „Die Flucht nach Ägypten. Königlich böhmischer Teil“ aus dem Jahre 1978 wieder aufgelegt.

Darin beschreibt Preußler, wie die Heilige Familie, um den Häschern des Königs Herodes zu entgehen, bis nach Ägypten flüchtet und dabei angeblich durch Böhmen reisen muss. Weil König Herodes dem Kaiser Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn depeschiert, er solle der Flüchtlinge habhaft werden, verfolgt der k.k.-Gendarmeriewachtmeister Leopold Hawlitschek diese, die ja nun wegen eines illegalen Grenzübertritts als feindliche Eindringlinge, als Migranten, gelten. Assistiert wird er dabei – in Gestalt des Fleischerhundes Tyras – von Herrn Pekoslav Pospišil, „Mittlerer Oberteufel auf Probe in der Abteilung für Höllische Angelegenheiten des Königreichs Böhmen, Unterabteilung Nördliche Landeshälfte, Kanzlei für Vermischte Eventualitäten und Anderweitiges“ – auch in der Hölle herrscht bürokratische Ordnung. Diese beiden Gruppen wandern nun durch ein mythisches Böhmen, Hawlitschek hinterlässt viel bürokratisch-polizeiliches Chaos, die Heilige Familie dagegen lauter kleine Alltagswunder.

Preußler erzählt dies alles so behaglich-ausführlich wie es die barock ausladenden Kapitelüberschriften sind, die Personen bewegen sich mehr auf Neben- und Um- als auf Hauptwegen, es wimmelt von tschechischen Namen und es wird ausgiebig geschmaust und geschnapselt, die einzelnen Begebenheiten gleichen erzählerischen Wimmelbildern und überhaupt erzählt Preußler so gemütlich böhmakelnd und episch-gelassen wie ein im Winter bullernder Ofen wärmt. Heiter sind auch die Anachronismen: Alle böhmischen Nationalheiligen, angeführt vom heiligen Wenzeslaus, huldigen dem Jesulein – Heilige gibt’s ja erst mit dem Beginn des Christentums nach Christi Tod – , Josef bekreuzigt sich des Öfteren, die Heilige Familie gerät in ein Drei-Königs-Spiel und Maria gar erschrickt am Ende, als sie der Predigt des Dechanten Tschertner lauscht, der ausgerechnet über die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten predigt und dabei auf das Kruzifix verweist, das Ende aller Wege des Jesuskindes. Hier aber geht alles noch gut aus, der Wachtmeister Hawlitschek liefert die „Migranten“ nicht an König Herodes aus, sondern lässt sie laufen, weiter nach Ägypten: ein Buch, wärmend wie eine Schafwolldecke. RAINER W. JANKA

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