Edling – Der Hallodri, der sich nächtens in die Stubn des Madels geschlichen hat, erhält vom hereinstürmenden Verlobten zwei mächtige Schläge mit der Türklinke auf den Kopf, zerbricht einen Krug und rettet sich aus dem Fenster. Er entkommt vorerst unerkannt – das ist allemal eine Geschichte, die man im Lande des „Fensterlns“ auf Boarisch erzählen muss. Auch wenn sie eigentlich von Heinrich von Kleist stammt und als „Der zerbrochene Krug“ auf den Bühnen Karriere gemacht hat.
Selbst ein ausgemachter Klassiker kann ein echter Krimi sein. Noch dazu, wenn man ihn seiner hochgezüchteten Kunstsprache entreißt und endlich Klartext spricht: nämlich boarisch. Hans Küsters und Max Dietrich, hocherfahrene Mundarterzähler, die nicht nur „Opern amoi anders“ präsentieren, haben Heinrich von Kleists „Zerbrochenen Krug“ zum Anlass genommen, die Geschichte vom schwer angeschlagenen Dorfrichter Adam zur emotionalen Kenntlichkeit zu bringen. Schließlich kochen die Emotionen allesamt gewaltig hoch bei allen Beteiligten, und auf Boarisch klingt das viel unmittelbarer. Und ganz entscheidend: Es geht gegen die Obrigkeit – „ungeniert, als wär’s bei uns passiert“, wie es heißt. Weswegen der „Zerbrochane Kruag“ eben nicht in Husum spielt, sondern in Schneizlreit. Und das liegt für die Zeit des Auftritts im Edlinger Krippnerhaus.
Da ist die Mutter, die ihren zerbrochenen Krug ersetzt haben will, wobei es ihr eigentlich um die Ehre ihrer Tochter Eva geht. Das Madl schweigt verstockt. Da ist der wütende Verlobte, der glaubt, dass seine Braut ihn betrügt. Im Mittelpunkt steht jedoch der Dorfrichter Adam, der zwei Wunden am Schädel hat, aber keine Perücke mehr, um das zu vertuschen. Sein Schreiber tut mitleidig scheinheilig. Und dann kommt auch noch der Gerichtsrat, um den Dorfrichter zu überprüfen. Die Katastrophe ist perfekt.
Genüsslich breiten Hans Küster und Max Dietrich diese Geschichte in Reimen aus, damit sich das Publikum auch einen Reim darauf machen kann. Unterstützt werden die beiden von Brigitte Oberkandler, die nicht nur der Mutter und der Tochter, sondern auch noch einer gschaftlhuberischen Nachbarin und Zeugin ihre jeweils eigene Stimme verleiht.
Dass es sich um eine szenische Lesung handelt und nicht um eine veritable Aufführung, hat einen ganz besonderen Reiz. Da lenkt nämlich nichts ab von den Dialogen – oder im Fall von Dorfrichter Adam auch Monologen. Es reicht der Blickkontakt zwischen den Sprechern, um die Dynamik sichtbar zu machen, mit der die Entlarvung des Bösewichts betrieben wird. Manchmal geht das Temperament mit Max Dietrich gestisch durch und die Mikroport-Anlage macht Sperenzchen. Doch das tut keinen Abbruch, im Gegenteil: Es bestärkt den Live-Charakter und befeuert das Publikum in seinem vergnüglichen Voyeur-Status.
Ohne Musik kann das natürlich nicht abgehen. Damit man als Zuschauer das Ganze noch besser nachschmecken kann, sorgen Johanna Fischbacher, Julia
Loibl und Monika Fackeldey mit Ziach, Hackbrett, Gitarre und Gesang für boarische Untermalung nebst gelegentlichem Kommentar. Ihr süffisantes „Wärst ned aufigstiegn, wärst ned obigfalln“ lässt das Ende ahnen. Als Dorfrichter Adam den Verlobten verurteilen will, platzt der Eva der Kragen. Ermutigt vom Gerichtsrat spricht sie Klartext: Der Täter ist der Dorfrichter selbst. Um ihren Verlobten vom Militärdienst freizustellen, forderte er eine Nacht mit ihr. „Erpresst hat er mich, die alte Sau“, ruft Eva wütend. Einem Happy End des jungen Paares steht nichts mehr im Weg. Der Schreiber wird nun Dorfrichter. Und Adam bleibt nur erneut die Flucht.
Die Moral von der Geschicht? Auch die Autorität gerät mal auf die schiefe Bahn… „Ob Amigoaffären und Sexskandal, das gibt es alles – aber nicht in Bayern!“ ist der augenzwinkernde Schlusskommentar von Hans Küster und Max Dietrich. Das Publikum bedachte die muntere szenische Lesung mit viel Beifall.
Ute Fischbach-Kirchgraber