Neubeuern – „Mit Tini Uhl“, berichtet Thomas Stockerl von der Künstlergemeinschaft Neubeuern über seinen Gast, „verbindet mich viel. Sie ist meine Mutter und war wohl der Grund, dass ich mich für die Kunst und nicht für die Welt der Finanzen meines Vaters entschieden habe“.
Arbeiten von
Mutter und Sohn
Nachdem Tini Uhl in einem mehrseitigen, wohlformulierten Brief – wie Stockerl berichtet – bei ihrem Vater um Zustimmung für ihr in dieser Zeit ungewöhnliches Ansinnen, ein Kunststudium aufzunehmen, geworben hatte, studierte sie an der Werkkunstschule in Offenbach am Main Gebrauchsgrafik und arbeitete einige Zeit freiberuflich als Grafikerin. Ein Jahr lebte sie in Paris. Sie war nach Thomas Stockerls Worten eine ungewöhnliche Frau, gebildet, intelligent, aber nach der Geburt ihres Sohnes widmete sie sich nur noch ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Malerei und Grafik griff sie trotz ihres Talentes nie mehr auf. Die Selbstporträts in der Ausstellung zeigen sie im Alter von 20 Jahren als ernste junge Frau.
Da Thomas Stockerl am selben Tag wie seine Mutter geboren wurde und seine Frau Pascale im selben Alter wie seine Mutter gestorben ist, war es ihm ein Bedürfnis, nun eine gemeinsame Ausstellung mit ihr zu machen.
In seiner letzten Ausstellung im Jahre 2019 in der Galerie waren die gezeigten Fotos Dokumente einer Weltreise mit seiner gerade an Krebs erkrankten Frau. Es waren Bilder einer wundervollen Lebenserfahrung.
Nun stellt er in den Räumen der Galerie Neubeuern kleinformatige Zeichnungen aus. Sie stammen aus den letzten beiden Jahren nach dem Tode seiner Frau. Sie sind Momentaufnahmen eines inneren Prozesses jenseits von Denken und Sprache.
Direkt nach ihrem Tod stand für Stockerl die eigene Welt Kopf und war im Begriff zu zerfallen. Alles, wirklich alles, stand für ihn infrage und wartete darauf, neu zusammengesucht, zusammengefügt zu werden. „In den Leerstellen meines Alltags, wenn ich alleine war, kreisten die Gedanken und Gefühle, fluteten Bilder den Kopf, ich war unruhig, kribbelig, fühlte mich so oft – und fühle mich auch heute noch, wie der Panther Rainer Maria Rilkes – wenn er unruhig, ‚vom Vorübergehen der Stäbe‘, seinen Lebenswillen verliert“, beschreibt Thomas Stockerl seinen seelischen Zustand.
In dieser Zeit hat er sich einen Zeichentisch eingerichtet, an den er immer häufiger zurückkehrte. Wenn er dort sitzend einen seiner schwarz-glänzenden Graphitstifte in die Hand nahm und versuchte, in sich hineinzuschauen und zu spüren, was seine linke Zeichenhand mit diesem Stift jetzt gerne tun möchte, wurde es in kleinen Schritten klarer in ihm. Gefühle, die ihm überhaupt nicht bewusst waren, standen oft mit den ersten Strichen ganz deutlich sichtbar vor ihm – von mörderischer Wut über tiefe Trauer bis zu zarter Liebe zu seiner Frau. Viel wichtiger war, dass etwas später daraus Ruhe entstehen konnte und danach kam – ein Versunkensein in die Bilder.
Er zeichnet experimentell, ungeplant und ergebnisoffen. Das schwarz-glänzende Graphit als Kreide, Pulver, Krümel ist Ausgangspunkt jeder Arbeit. Das alles ist zunächst keine Kunst, aber eine Haltung, die Ausgangspunkt von Kunst sein kann. Es ist sehr persönlich, tagebuchartig, authentisch im Sinne eines Skizzenbuchs.
Schöpferischer
Prozess ohne Konzept
Eine Auswahl von Arbeiten, ästhetisch abgeschlossener, aber aus der gleichen Grundhaltung heraus, ist ohne gedankliche Vorplanung, ohne Konzept in einem schöpferischen Prozess entstanden. Vieles bleibt abstrakt, ungegenständlich. Der Künstler sucht eine Form jenseits von Sprache für etwas Berührendes.