Wasserburg – „Dass uns nur noch die Komödie beikommt“, ist das Credo von Friedrich Dürrenmatt, der sich nach den Schrecknissen des Zweiten Weltkriegs und dem Abwurf der Atombombe mit seinem Theaterstück „Die Physiker“ die Verantwortung der Wissenschaftler vornimmt. Das Theater Wasserburg hat sich nun in nicht minder düsteren Zeiten mit dem Krieg in der Ukraine und den verheerenden Anschlägen auf ein kämpferisches Israel dieses vor gut sechzig Jahren Furore gemacht habendes Werk vorgenommen und sich vor allem an Punkt drei seiner 21 Punkte zu den „Physikern“ orientiert. Demnach ist eine Geschichte erst dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmst-mögliche Wendung genommen hat.
Grelle Akzente
und Parodie
Was für das Werk gilt, kann man auch auf die Inszenierung anwenden, hat sich wohl Regisseurin Annett Segerer gedacht und sich für die schlimmstmögliche Wendung entschieden, die uns die intelligente Komödie als einen zeitgemäßen Comedy-Quatsch präsentiert. Das heißt, der schauspielerische Zugriff setzt auf grelle Akzente, auf parodistisch Übertriebenes. So lässt Annett Segerer die drei in der Irrenanstalt einsitzenden Physiker samt der Irrenärztin Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd mit kindlichen Steckenpferdchen und nicht minder abenteuerlich zusammengewürfeltem Outfit aus einer Rennstartbox fürs Pferderennen starten.
Da tummeln sich nun Electron, Mary-Lou, Jolante und Rosinante, kreisen umeinander, wenden, traben spielerisch herum, ehe sie sich wie im Ritterzweikampf je zwei zu zwei aufeinander stürzen. Sir Isaac Newton und Albert Einstein sind also im Rennen um die Erkenntnisse des dritten im Bunde, des Physikers Möbius, dem es – scheint´s – gelungen ist, die anstehenden Rätsel der Wissenschaft zu lösen. Dazwischen taucht immer wieder ein Inspektor auf, der die Morde an den pflegenden Krankenschwestern aufnimmt und von der Irrenärztin eingebremst wird: Denn die Irren, die diese Morde begangen haben, sind ja, weil eben irre, nicht schuldfähig.
Es kommt zum Showdown: Sir Isaak Newton und Albert Einstein geben sich als renommierte Physiker-Kollegen verschiedener politischer Lager zu erkennen, die Möbius auf ihre Seite ziehen wollen. Um ihre Enttarnung nicht zu riskieren, mussten sie ihre in sie verliebten Krankenschwestern umbringen, die dabei waren, sie zu durchschauen. Auch Möbius hat gemordet, weil er die Irrenanstalt nicht verlassen wollte: Nur hier fühlt er sich vor der Welt sicher, die hinter seinen Erkenntnissen her ist. Dass seine Forschungsergebnisse direkt in den Weltuntergang führen würden, hat ihn bewogen, seine Berechnungen zu vernichten.
An dieser Stelle wird es endlich ernst mit der „Komödie“ und erstmals an diesem Theaterabend steht das Wort im Vordergrund. In einer Art letztem Abendmahl sprechen sich die drei Nicht-Irren aus und der Zuschauer, der sich bisher an einer bunten Oberflächlichkeit ergötzt hat, wird unvermittelt aus dem Amüsier-Modus herausgerissen und hineingezogen in einen anderen Kosmos, in eine durchaus ernste Diskussion, die kaum mit äußerlichen Mätzchen aufgepeppt wird, weil sonst die Aussage droht verloren zu gehen.
Denn hier scheint auf, woran Friedrich Dürrenmatt bei aller komödiantischen Brillanz der Formulierungen gelegen war: Der Wissenschaftler hat eine moralische Verantwortung. Möbius kann die beiden anderen überzeugen. Doch er hat nicht geahnt, dass die Irrenärztin ihrerseits heimliche Kopien anfertigt und nun ihrerseits das ganz große Geschäft macht. Die Welt ist eben ein Tollhaus. Da kann man nur irre werden, falls man es nicht bereits schon ist. Und Freiheit gibt es nur im Irrenhaus, räsoniert Möbius: „Nur im Irrenhaus dürfen wir noch denken. In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff.“ Insgeheim stellt sich die Frage, ob die lässige Comedy-Art nicht zu Unverbindlichkeit und Verharmlosung geführt hat. Vor allem die systematische Unterbrechung der Szenenabfolge durch Songs, die einen Kommentar zur Gefühlslage der Akteure bieten, verrät bei allem irren Spielwitz ein Misstrauen in die Kunst Dürrenmatts.
Lakonisch
wirkender Einstein
Die Schauspieler agieren unter Volleinsatz ihrer darstellerischen Mittel. Sie veräußern sich erbarmungslos.
Es reicht eine herausgestreckte Zunge und sofort weiß jeder, dass Einstein gemeint ist. Wobei Andreas Hagl in der kurzen, grünen Latzhose als Einstein durchaus lakonisch wirken kann gegen Hilmar Henjes als aufbrausender, ständig unter Strom stehender Newton. Nik Mayr in der Doppelrolle als Inspektor und Möbius zappelt hilflos vor der sich statuarisch gebenden Irrenhausdirektorin. Amelie Heiler lauert als Fräulein von Zahnd hochnäsig mit Merkel-Raute bis das Temperament mit ihr durchgeht und sie alle lautstark unter ihre Kontrolle zwingt. Das Publikum war begeistert und fühlte sich bestens unterhalten.